Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angst vor Agrarfabrik

1,6-Millionen-Hektar-Farm: Megaprojekt in Indonesiens ärmstem Landesteil bedroht Kleinbauern und Natur

Von Thomas Berger *

Indonesiens Regierung will im ärmsten Teil des Landes ein landwirtschaftliches Megaprojekt verwirklichen. In Papua, einer der beiden Provinzen auf dem einst von Jakarta annektierten westlichen Teil der Insel Neuguinea, soll eine Riesenfarm von 1,6 Millionen Hektar Größe entstehen. Das »Merauke Integrated Food and Energy Estate« würde Indonesien zu einem der größten Nahrungsgüterproduzenten der Welt machen. Kleinbauern fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz, schon jetzt regen sich gegen die geplante Agrarfabrik Proteste.

Reis, Zuckerrohr, Mais und Soja sollen auf der gigantischen Fläche angebaut werden, besagen die Pläne des indonesischen Landwirtschaftsministeriums. »Zuerst brauchen wir Investoren, die in Vorleistung gehen«, ließ in der vergangenen Woche der zuständige Vizeminister Bayu Krisnamurthi verlauten. 36 nationale und internationale Firmen sollen bislang ihr Interesse bekundet haben, an dem fragwürdigen Experiment mitzuwirken. Darüber hinaus wird die Regierung versuchen, weitere Partner ins Boot zu holen, denn die notwendige Anfangsinvestition beläuft sich offiziellen Kalkulationen zufolge auf umgerechnet etwa sechs Milliarden US-Dollar (4,45 Milliarden Euro). Die bisher am Projekt interessierten Unternehmen würden umgerechnet etwa 300 Millionen Dollar in den Ausbau der Infrastruktur stecken.

Die Kleinbauern der Region sind in großer Sorge, daß die staatlich geförderte industrielle Agrarproduktion ihre Lebensgrundlagen zerstören könnte. Zwar kommen viele von ihnen mehr schlecht als recht mit dem Ertrag ihrer Felder über die Runden. Gegen eine solche Konkurrenz jedoch hätten sie keine Chance, befürchten sie. Deshalb gibt es vielfältige Proteste, und die Interessenverbände der Kleinproduzenten wie die Indonesische Bauerngewerkschaft (SPI) laufen Sturm gegen das Vorhaben. Die Nahrungsgüterproduktion großen Konzernen zu überlassen wäre eine enorme Gefahr, weil sich der private Sektor nur am Profit orientiere, warnte SPI-Aktivist Elischa Kartini vergangene Woche vor Reportern.

In den Provinzen Papua und dem benachbarten Westpapua sind zwar die meisten Soldaten stationiert. Ansonsten aber hinken sie dem Entwicklungsstand der übrigen 30 Verwaltungseinheiten des Inselstaates teils deutlich hinterher. Im nationalen Durchschnitt leben beispielsweise rund 14 Prozent der Bewohner unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, die weit niedriger angesetzt ist als jene der Vereinten Nationen. Auf der Inselhälfte, die zu Indonesien gehört (den anderen Teil bildet das unabhängige Papua-Neuguinea) lebt gut jeder dritte der 2,6Millionen Einwohner in Armut, so die offizielle Auskunft des indonesischen Statistikamtes. Teilweise gehen diese Einschätzungen jedoch auf eine gewisse ethnisch-kulturelle Arroganz der Zentralbehörden auf der Hauptinsel Java zurück. Die Gesellschaft in den beiden Papua-Provinzen ist sehr traditionell ausgerichtet und stark von Stammesstrukturen geprägt. Sie wird deshalb im übrigen Indonesien bis in höchste Regierungskreise als überholt eingestuft. Eine solche Einrichtung wie die geplante Riesenfarm würde in diesem Umfeld ein Fremdkörper sein.

Verschiedene Verbände machen gegen den drohenden Billigaufkauf von Landflächen und die Zerstörung von Natur mobil. Muhammad Islah, ein Aktivist der größten nationalen Umweltorganisation Walhi, sieht einen Wettbewerb um Land entstehen, den die Kleinbauern gegen die Konzerne mangels finanzieller Ressourcen zwangsläufig verlieren würden. Daß aus dem Agrarministerium betont wird, einheimische Unternehmen würden in dem Großprojekt die Mehrheit stellen und ausländische Firmen auf insgesamt 49 Prozent begrenzt bleiben, kann die Sorgen nicht zerstreuen. Ebensowenig können dies die Äußerungen der Kabinettsmitglieder aus Jakarta, man müsse brachliegende Flächen landwirtschaftlich nutzbar machen.

Eine Million Tonnen Reis pro Jahr, dazu zwischen 800000 und 1,2 Millionen Tonnen Zucker sollen auf der Riesenfarm geerntet werden. Was eine Produktion solchen Ausmaßes für den Boden und das Ökosystem der Region bedeutet, kann derzeit niemand genau sagen. Allenfalls auf Risiken kann hingewiesen werden, wie die Umweltschützer es tun. Die negativen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt sind zwar noch nicht bezifferbar, aber nicht von der Hand zu weisen. Walhi warnt zudem vor drohenden Rodungen, auch wenn in dem Projekt offiziell nur solche Flächen verwendet werden sollen, wo bereits jetzt der Wald verschwunden ist. Auch die entstehenden Arbeitsplätze dürften weniger den Einheimischen zugute kommen. Vielmehr gehen Nichtregierungsorganisationen davon aus, daß im Gebiet Merauke die Bevölkerung durch den Zustrom von Neusiedlern aus anderen Landesteilen um knapp ein Viertel auf 800000 Einwohner ansteigen wird. Migration in solchen Größenordnungen hat in Indonesien immer wieder zu kulturell-religiösen Konflikten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen geführt, die teilweise bürgerkriegsähnliche Ausmaße annahmen.

* Aus: junge Welt, 1. April 2010


Zurück zur Indonesien-Seite

Zur West-Papua-Seite

ZurUmwelt-Seite

Zurück zur Homepage