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Der Kampf um Aceh

Indonesien droht aus den Fugen zu geraten und zu zerfallen

Arne Perras berichtet in einem Hintergrundartikel in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Juli 2001 über einen zähen und lang andauernden Konflikt zwischen der Separatistenbewegung in Aceh (Nordsumatra) und der indonesischen Zentralmacht. Perras' Hauptthese ist, dass den Mächtigen in Jakarta das Interesse fehlt, Blutvergießen in Aceh ein Ende zu setzen. Da eine Sezession aus Sicht Jakartas aber auch nicht in Frage kommt, ist die Lage in dem riesigen Inselreich undurchsichtig und explosiv zugleich.

Der Beitrag von Perras ist überschrieben mit "Indonesien und der Kampf der Separatisten - In der Falle des Krieges". Die erste Schwierigkeit beginnt schon mit der Wahrnehmung des Krieges. Der Krieg "wütet im Verborgenen. Und so bleiben seine Opfer oft über Wochen unentdeckt." Zum Beispiel wird erzählt, dass in den unzugänglichen Hügeln von Aceh Rot-Kreuz-Helfer erst kürzlich wieder auf 27 Leichen stießen. Es ist ein regelrechter "Buschkampf", der fast jeden Tag neue Todesopfer fordert. Und in den letzten Monaten haben sich die Ereignisse wieder dramatisch zugespitzt. Seit Januar 2001 wurden schon 900 Tote gezählt. Eine der potenziell reichsten Gegenden Indonesiens (in Aceh lagern riesige Erdgasvorkommen) ist dem Ruin preisgegeben.

In der Region Aceh kämpfen "muslimische" Separatisten für ihre Unabhängigkeit von der Zentralmacht in Jakarta. Auf der Hauptinsel Indonesiens, in Java wiederum kann sich aber "kein Politiker vorstellen, dass es ein Indonesien ohne Aceh geben könnte", sagt Jusuf Wanandi, Dozent am Center for Strategic and International Studies in Jakarta. Viele Indonesier können bis heute den Verlust Osttimors (1999) kaum verschmerzen - obwohl der Fall Osttimor ganz anders liegt: Hier handelt es sich um eine 1975 von Indonesien völkerrechtswidrig annektierte ehemalige portugiesische Kolonie; die Annexiuon wurde von den Vereinten Nationen nie anerkannt. Demgegenüber wird von niemandem in der Welt bestritten, dass Aceh rechtmäßiger Teil Indonesiens ist. Eine Abspaltung, so die Furcht in Jakarta, bedeutete wohl den Anfang vom Ende der staatlichen Einheit Indonesiens. In der Westhälfte der Insel Neuguinea z.B. verschärft sich die Konfrontation zwischen Sicherheitskräften und den einheimischen Papua (Westpapua - "Irian Jaya" - ist in Wahrheit auch ein annektiertes Gebiet). Auch der vorwiegend soziale Konflikt zwischen Christen und Muslimen auf den Molukken kann ohne stärkeres Engagement der Zentralmacht nicht gelöst werden. Ein weiterer Krisenherd hat im Frühjahr 2001 wieder von sich Reden gemacht: auf Borneo (Kalimantan) sind Tausende Javanesen und Maduresen (also die Bevölkerung, die sich als staatskonstituierende Schicht versteht) von den dort lebenden indigenen Stämmen, insbesondere den Dayak, vertrieben worden, einige Hundert sollen dabei getötet worden sein.

Nach Perras habe unmittelbar nach dem Sturz des Diktators Suharto bei vielen Indonesiern die Hoffnung bestanden, den Aceh-Konflikt nun vielleicht doch entschärfen zu können. Es gab Gespräche mit den Separatisten, die signalisieren sollten, dass nun ein anderes, demokratisches Regime die Macht übernommen hätte und die Unterdrückung von Minderheiten im Vielvölkerstaat nun endgültig vorbei sei. Doch offenbar handelte es sich nur um ein kurzes liberales Strohfeuer der Wendezeit. Heute sind die Chancen auf eine gütliche Einigung zwischen Zentralregierung und Aceh-Separatisten wieder auf den Nulklpunkt gesunken. Der Grund für Perras: "Die Politik in Jakarta ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sich niemand ernsthaft um eine Lösung des Aceh-Problems bemüht." In der Tat: Präsident Abdurrahman Wahid kämpft nur noch ums politische Überleben. Seine Gefolgschaft im Parlament ist bis auf einen kleinen Rest zusammen geschmolzen. Er muss sogar fürchten, ähnlich wie sein Kollege Estrada auf den Philippinen seines Amtes enthoben zu werden. Perras: "Während sich die politische Elite in Jakarta gegenseitig zerfleischt, haben Militär und Polizei in Aceh freie Hand."

Beobachter sind sich darin einig, dass der Konflikt militärisch nicht zu lösen ist. Die Separatistenorganisation GAM (Bewegung Freies Aceh) kontrolliert aschätzungsweise bis zu 80 Prozent der Dörfer in Aceh. Der Hass gegen die Zentralmacht in Jakarta ist immens, zumal "die Ausbeutung der Bodenschätze zwar die Taschen ausländischer Investoren und der indonesischen Zentralregierung füllte, Aceh davon aber so gut wie nichts abbekommen hat." Allein mit der Erdgasförderung durch den weltgrößten Ölkonzern Exxon Mobil verdient der indonesische Staat über eine Milliarde Dollar im Jahr. Kein Wunder, dass die Aktionen der Separatisten auch vor den Vertretern der ausländischen Firma nicht Halt machen. Über 50 Fahrzeuge wurden gekidnappt, die Flugzeuge der Firma wurden auch schon einmal unter Beschuss genommen. Im März 2001 hatte das Unternehmen deshalb beschlossen, die Förderung vorübergehend einzustellen. Hinzu kommt die Klage einer amerikanischen Menschenrechtsgruppe: Sie wirft Exxon Mobil "Komplizenschaft" mit den indonesischen Sicherheitskräften bei "Verbrechen gegen die Acehnesen" vor. Selbstverständlich weist das Unternehmen alle diesbezüglichen Vorwürfe als unbegründet zurück. Exxon Mobil habe mit der polizeilichen Sicherung der Anlagen nichts zu tun, dies sei allein Sache des indonesischen Staates.

Im Gespräch ist eine Autonomieregelung für Aceh. Auch wird in Regierungs- und Parlamentskreisen daran gedacht, die ungerechte Verteilung der Einnahmen zugunsten der Acehnesen zu korrigieren. Die GAM allerdings will davon nicht hören. Für sie kommt nur die Unabhängigkeit in Frage. Wie stark die gemäßigten Kräfte in Aceh sind, die sich mit einer (Teil-)Autonomie zufrieden geben würden, wird in dem Artikel nicht gesagt. Vielleicht kommt es auch gar nicht dazu, dass die Probe aufs Exempel gemacht wird, denn auch die Zentralregierung in Jakarta bzw. der ins Straucheln geratene Präsident Wahid schenkt der Krisenregion Aceh kein besonderes Augenmerk. Für Wahid zählt im Augenblick nur, mit der eigenen Krise fertig zu werden und um alles in der Welt die drohende Amtsenthebung zu verhindern. Das einzige, was er in einer solchen Situation tun kann, ist, die Militärpräsenz im Norden Sumatras zu erhöhen (die entsprechenden Finanzmittel sind schon bewilligt). Ein beliebtes Mittel, wenn man politisch nicht mehr weiter weiß, soll es das Militär richten.

Das Militär dürfte Wahid in der Aceh-Frage die Stange halten. Perras weist nämlich darauf hin, dass die indonesischen Sicherheitskräfte von einer Fortsetzung des Konflikts eher "profitieren" als von seiner Beendigung. "Nur ein Viertel seines Budgets deckt das Militär aus dem Staatshaushalt. Für den Rest ist es auf eigene Einnahmen angewiesen. Es it ein offenes Geheimnis, dass die Polizei und die Armee in allerlei legale und illegale Geschäfte verwickelt sind, etwa in den Handel mit Edelhölzern, die im Norden Sumatras abgeholzt werden."

Diese ökonomische Interessiertheit der Streitkräfte erklärt dann auch zum Teil die Härte, mit der gegen die Acenehsen vorgegangen wird. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die indonesischen Sicherheitskräfte noch immer keinen großen Unterschied machen zwischen den etwa 3.000 bewaffneten Kämpfern der GAM und den etwa vier Millionen Einwohnern der Region. "Vergeltungsaktionen gegen die Rebellen", erzählt Perras, "treffen häufig die Bauern, die im Verdacht stehen, die GAM zu unterstützen. Aus Angst, zwischen die Fronten zu geraten, sitzen viele Menschen auf einem gepackten Bündel mit nicht viel mehr als einer Hand voll Reis und etwas getrocknetem Fisch." Ein Mitarbeiter des Roten Kreutzes wird in dem Artikel folgendermaßen zitiert: "Bis zu 50.000 Menschen sind in ständiger Bewegung, haben ihre Dörfer verlassen".

Doch in Jakarta geschieht zur Zeit nichts. Meistens, wenn heftige Kämpfe in einem Winkel des indonesischen Riesenreiches ausbrechen, befindet sich der Präsident auf Staatsvisite im fernen Ausland. Doch dies wird ihn nicht auf alle Zeit schützen. Denn seine Widersacher nutzen seine Abwesenheit um gegen ihn Stimmung zu machen und die Anklagen voran zu treiben. Sollte Wahid tatsächlich abgesetzt werden, wird sich gegenüber den krisenregionen aber nichts zum Besseren wenden. Denn die dann nachrückende Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri (die Tochter des 1965 durch einen Putsch Suhartos abgesetzten Staatsgründers Sukarno) an die Macht. Sie gilt als "stramme Nationalistin", die wohl noch engeren Schulterschluss mit dem ebenfalls nationalistischen Militär anstreben würde. Politische Lösungen sind von ihr kaum zu erwarten.

Nach: Arne Perras, In der Falle des Krieges. In: Süddeutsche Zeitung vom 7. Juli 2001; Zusammenstellung: Pst

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