Entfesselter Terror
Vor 40 Jahren putschte sich General Suharto in Indonesien an die Macht. Mit Duldung des Westens errichtete er ein konterrevolutionäres Gewaltregime
Rainer Werning*
Am 17. August beging Indonesien den 60. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Und seit September wird in der Hauptstadt Jakarta laut darüber nachgedacht, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission nach dem Muster Südafrikas und anderer Länder einzurichten. Deren Aufgabe: Die Aufarbeitung einer Vergangenheit, die mit Greueltaten, Massakern und Annexionen gepflastert ist. Daß dabei auch die folgenschweren Geschehnisse vom 30. September 1965 und die Monate danach ins Blickfeld rücken, ist unwahrscheinlich. Zu groß ist die Verstrickung des Westens in ein Blutbad, dem mindestens eine halbe Million (einige Quellen sprechen von weit über eine Million) Menschen zum Opfer fielen. Choreograph des Terrors war mit Suharto ein von Washington protegierter junger Offizier, der am 11. März 1966 auch den Staatsgründer und ersten Präsidenten Indonesiens, Sukarno, beerbte.
Die PKI im Visier
Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) bildeten die Zielscheibe des seit Anfang Oktober 1965 entfesselten Militärterrors auf dem Archipel. Noch im Juni 1964 hatte die PKI-Zeitung Harian Rakjat die Zahl der Parteimitglieder mit drei Millionen angegeben. Insgesamt gab es dieser Zeitung zufolge Mitte der sechziger Jahre etwa 18 Millionen Mitglieder und Sympathisanten. Damit bildete die PKI nach der KP Chinas und der KPdSU die weltweit drittgrößte kommunistische Partei – in der Sicht einflußreicher konservativer Kräfte im Lande und in Washington eine veritable Bedrohung. Zumindest in der Außenpolitik herrschte zwischen der PKI und Sukarno Einigkeit über einen antiimperialen Kurs. Nicht nur dem Westen gegenüber zeigte Jakarta sich skeptisch. 1955 strahlte Sukarno gar als Gastgeber bei der Gründung der Blockfreienbewegung in der javanischen Stadt Bandung.
Als überaus kritisch hatte die US-amerikanische Regierung die politische Situation Anfang 1965 eingeschätzt, nachdem die britische Exkolonie Malaysia in den UN-Sicherheitsrat aufgerückt war. Indonesien kehrte daraufhin den Vereinten Nationen den Rücken, da das Land territoriale Ansprüche an Malaysia stellte. Absprachen zwischen indonesischen und amerikanischen Militärs häuften sich: Der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson befürchtete in Indonesien eine ähnliche Entwicklung wie in Vietnam, wo die USA immer tiefer in den Krieg verwickelt wurden. Sukarno sollte politisch kaltgestellt, linke Nationalisten, Gewerkschafter und Kommunisten ausgeschaltet, eine außenpolitische Kehrtwende (in Richtung Westen) vorgenommen, verstaatlichter Besitz an die früheren ausländischen Eigentümer zurückgegeben und das Land für ausländische Investitionen geöffnet werden. Als Termin für einen solchen Umsturz war der 5. Oktober 1965 avisiert.
Diesem Plan kam ein am 30. September von Oberstleutnant Untung, Chef der Leibgarde Sukarnos, inszenierter Putsch zuvor. Seinen Truppen gelang es, sechs ranghoher Generäle habhaft zu werden und sie umzubringen. Am Morgen des 1. Oktober sendete Radio Jakarta die erste Nachricht der Putschisten, der nachmittags eine weitere folgte. Dabei wurden die Namen von Mitgliedern eines Revolutionsrates verlesen, die allerdings von ihrem »Glück« nichts wußten oder der anderen Seite zuarbeiteteten. Über den Zweck des Umsturzes wurde lediglich mitgeteilt, es gälte, Sukarno zu unterstützen. Alles sei unter Kontrolle, hieß es, und es bedürfe keiner Massenaktion. So dilettantisch der Coup geplant war, so rasch stürzte der Umsturzplan Untungs wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Was folgte, war die gnadenlose Abrechnung der Sieger mit allem, was sie für »PKI-infiziert« hielten.
Verantwortlich für den fortan beschönigend »Neue Ordnung« genannten Terror war Generalmajor Suharto, Kommandeur der Eliteeinheit KOSTRAD. Seit dem 30. September 1965 verstand er es, skrupellos potentielle Widersacher auszuschalten und eine ihm gewogene Klientel strategisch zu positionieren. Wer seit 1965/66 in Indonesien unternehmerisch Fuß fassen wollte, mußte auf Suharto-Getreue als »Berater« zurückgreifen. Eine lukrative Einnahmequelle für den Suharto-Clan, dessen Vermögen das Londoner Wirtschaftsmagazin Economist 1998, als der Exgeneral lächelnd von der Bühne abtrat, auf umgerechnet bis zu 40 Milliarden US-Dollar schätzte.
Terror als Kavaliersdelikt
»Der nach dem Ausscheiden Sukarnos begonnene Wandel in Staat und Gesellschaft«, kommentierte beispielsweise das Handelsblatt zum Jahresbeginn 1970, »ist in Indonesien noch nicht abgeschlossen. Suhartos Verdienst besteht darin, daß er diesen Wandel mit der Geschmeidigkeit und Geduld eines typischen Zentraljavaners ermöglicht hat. (...) Immerhin verfügt Suharto neben javanischer Geschmeidigkeit und Geduld auch über taktisches Gespür und notfalls Entschlossenheit, wie er das bei der Ausschaltung seines Vorgängers hinlänglich bewiesen hat.«
Politisch geschätzt als Garant westlicher Sicherheitsinteressen in Südostasien und wirtschaftlich gehätschelt als Gebieter über den größten Markt in der Region, wurde jede noch so große Schandtat Suhartos als Kavaliersdelikt bagatellisiert: Das betraf den Militärputsch 1965 ebenso wie die Annexion Osttimors in den Jahren 1975/76.
Helfershelfer Suhartos war auch der Bundesnachrichtendienst (BND), der die indonesischen Militärs mit Logistik und Waffen unterstützte. Von der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz gab es für die fernen Freunde Hilfestellung in Form von Ausbildungskursen für Offiziere an der Bundeswehrakademie Hamburg-Blankenese sowie Spezialtraining bei der Elitetruppe GSG 9 in Hangelar bei Bonn. Dort erhielt unter anderen ein Schwiegersohn Suhartos, General Prabowo Subianto, 1981 eine Sonderausbildung. In seine Heimat zurückgekehrt, avancierte Subianto zum Chef der indonesischen militärischen Spezialeinheiten und übernahm zudem das Kommando über das wegen seiner Brutalität gefürchtete »Detachment 81«.
Schwiegervater Suharto, ein intimer Duzfreund von Exkanzler Helmut Kohl, genießt heute im Klima extraterritorialer Immunität seinen Lebensabend in einem Nobelviertel Jakartas – auch eine Art von Vergangenheitsbewältigung und »Terrorbekämpfung«.
»Einigen wir uns auf 105 000 Getötete«: Dokumente des State Department über die Rolle der USA während des Militärputsches in Indonesien (1965/66)
Durch ein »peinliches Mißgeschick« – so Mark Mansfield, ein Sprecher der CIA, Ende Juli 2001 gegenüber der New York Times – sei ein Exemplar eines vom State Department (Außenministerium) erstellten Geschichtsbuchs über die Rolle der USA im Indonesien der sechziger Jahre an Mitarbeiter des National Security Archive der George-Washington- Universität gelangt. Deren Mitarbeiter plazierten dieses Dokument – Titel: »Die auswärtigen Beziehungen der Vereinigten Staaten, 1964-68 – Band XXVI: Indonesien; Malaysia-Singapur; Philippinen« – am 27. Juli 2001 auf ihrer Homepage im Internet (http://www.gwu.edu/~nsarchiv/).
Das 570 Seiten umfassende Kapitel über Indonesien liefert eine Fülle von Beweismaterial staatsterroristischer Schurkereien. So leitete beispielsweise die US-Botschaft in Jakarta am 13. November 1965 Informationen der indonesischen Polizei weiter, wonach »jede Nacht zwischen 50 und 100 PKI-Mitglieder in Ost- und Zentraljava getötet« wurden. Dieselbe Behörde kabelte am 15. April 1966 die Notiz nach Washington: »Wir wissen – ehrlich gesagt – nicht genau, ob die tatsächliche Zahl (getöteter PKI-ler, R.W.) näher bei 100000 oder bei 1000000 liegt, doch wir halten es für klüger, vor allem im Falle von Nachfragen seitens der Presse, von der niedrigeren Schätzung auszugehen.« Auf Seite 339 heißt es, man habe sich auf Initiative des Außenamtmitarbeiters Richard Cabot Howland schließlich 1970 auf die Zahl von 105000 getöteter Personen verständigt. Der damalige US-Botschafter in Jakarta, Marshall Green, funkte am 10. August 1966 nach Washington, die Botschaft habe eine von ihr erstellte Liste mit den Namen führender PKI-Kader den indonesischen Sicherheitskräften übermittelt, denen es offensichtlich an solchen Informationen gemangelt habe. Am 2. Dezember 1965 gab Green in Absprache mit William P. Bundy, seinerzeit im State Department verantwortlich für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten, grünes Licht für die Bereitstellung von 50 Millionen Rupiah an die Kap-Gestapu-Bewegung, die als »eine von der Armee inspirierte, doch aus Zivilisten gebildete Aktionsgruppe (...) die Bürde der andauernden repressiven Maßnahmen gegen die PKI trägt.«
* Aus: junge Welt (Wochenendbeilage), 1. Oktober 2005
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