Gepanzerte Freundschaften
Geschichte. Vom Westen im Kalten Krieg hofiert: Vor 15 Jahren endete in Indonesien mit dem Rücktritt Präsident Suhartos die Ära eines Despoten
Von Rainer Werning *
Am 21. Mai 1998 erklärte Indonesiens Präsident Suharto seinen Rücktritt und ernannte seinen Vize Bacharuddin Jusuf Habibie zu seinem Nachfolger. Nicht von einer wütenden Menge wurde dieser »König« aus seinem Palast gejagt wie im Frühjahr 1986 der philippinische Präsident Ferdinand E. Marcos. Nein: Suharto trat lächelnd zurück. »Respekt und Zustimmung« gab es unisono aus Washington, London, Tokio, Bonn und Canberra für einen Mann, der jahrelang Terror und Gewalt gesät hatte. Er war von ihnen gleichwohl hofiert oder – wie im Falle von Exbundeskanzler Helmut Kohl – ausdrücklich als »guter Freund« geschätzt worden.
Der am 8. Juni 1921 in dem zentraljavanischen Dorf Kemusuk geborene Suharto operierte wie ein Dalang im javanischen Schattenspiel; er war Puppenspieler und Erzähler in einer Person. Als Magier der Macht verstand er es meisterhaft, die Geschicke auf und hinter der Bühne zu lenken, Widersacher auszuschalten und eine ihm geneigte Klientel strategisch zu positionieren – in Führungsetagen von Handel und Industrie ebenso wie in Politik und innerhalb des Militärs.
Politisch geschätzt als Ordnungsfaktor und Garant westlicher Sicherheitsinteressen in Südostasien, wirtschaftlich großzügig unterstützt als Gebieter über den seinerzeit mit über 200 Millionen Einwohnern größten Markt in der Region und als kräftigster unter den »Tigern der zweiten Generation« gelobt, wurden Suhartos Schandtaten stets als Kavaliersdelikte bagatellisiert. Außenpolitisch stützte er bedingungslos die westlich orientierte Staatengemeinschaft – von Australien über Großbritannien und die Bundesrepublik bis zu den USA. Ungestraft wurden seit seiner Anfang Oktober 1965 in wohlkalkulierten Schritten exekutierten Machtübernahme Hunderttausende umgebracht, Zehntausende politische Gegner und Kritiker inhaftiert beziehungsweise in die Verbannung geschickt. 1976 folgte die widerrechtliche Einverleibung Osttimors als 27. Provinz Indonesiens; UN-Resolutionen zum Abzug seiner dort stationierten Truppen wurden schlichtweg ignoriert.
Den Westen kümmerte das Gebaren der Militärs wenig. Er schätzte vielmehr die Geschäfte unter dem Regiment der neuen Machthaber, investierte fleißig und räumte ihnen großzügig Kredite ein, bis das Land im Frühjahr 1998 eine Auslandsverschuldung von umgerechnet 140 Milliarden US-Dollar angehäuft hatte. Kommunismusphobie, martialische Einsätze der Sicherheitskräfte und ein Filz aus politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Interessen zeichneten den Suharto-Clan aus, unter dem Korruption grassierte und die sechs Kinder des Präsidenten die größten Wirtschaftsimperien übernahmen.
Geschätzte BRD-Verbindungen
Stets mit von der Partie war dabei die Bundesrepublik. »Der nach dem Ausscheiden Sukarnos (Hausarrest im Februar 1967, d.Red.) begonnene Wandel in Staat und Gesellschaft« kommentierte das Düsseldorfer Handelsblatt am 6. Januar 1970 in Erwartung lukrativer Geschäfte, »ist in Indonesien noch nicht abgeschlossen. Suhartos Verdienst besteht darin, daß er diesen Wandel mit der Geschmeidigkeit und Geduld eines typischen Zentraljavaners ermöglicht hat. (…) Immerhin verfügt Suharto neben javanischer Geschmeidigkeit und Geduld auch über taktisches Gespür und notfalls Entschlossenheit, wie er das bei der Ausschaltung seines Vorgängers hinlänglich bewiesen hat.« Langjährig und intensiv unterstützte der Bundesnachrichtendienst (BND) die indonesischen Militärs mit Logistik und Waffen. Über die Bundeswehr und den Bundesgrenzschutz gab es für die fernen Freunde – unter dem Vorwand der »Drogenmißbrauchsbekämpfung« – Hilfestellung in Form von Ausbildungskursen für Offiziere an der Bundeswehrakademie Hamburg-Blankenese sowie Spezialtrainings bei der Elitetruppe GSG9 in Hangelar bei Bonn. Unter anderen hatte dort der Schwiegersohn Suhartos, General Prabowo Subianto, 1981 eine Sonderausbildung erhalten. In seine Heimat zurückgekehrt, avancierte Subianto zum Chef der militärischen Spezialeinheiten und übernahm zudem das Kommando über das wegen seiner Brutalität gefürchtete »Detachment 81«. Obwohl er als einer der Drahtzieher von Liquidierungskampagnen gegen Oppositionelle inkriminiert war, konnte sich Subianto nach Suhartos Rückzug unbehelligt ins Exil nach Jordanien absetzen.
Der frühere BND-Chef Reinhard Gehlen kommentierte Suhartos Machtantritt am 10. Oktober 1996 im Fernsehmagazin »Monitor« im Jargon des Kalten Krieges: »Der Erfolg der indonesischen Armee, die (…) die Ausschaltung der gesamten kommunistischen Partei mit Konsequenz und Härte verfolgte, kann nach meiner Überzeugung in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.«
Eine zwielichtige Rolle spielte lange einer seiner Untergebenen, der 1992 verstorbene Rudolf Oebsger-Röder. In Nazideutschland war dieser SS-Obersturmbannführer gewesen und arbeitete nach Kriegsende hauptberuflich für den BND sowie als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und Neuen Zürcher Zeitung in Jakarta. In Indonesien verschaffte er sich Zugang zu Suharto und wirkte als dessen Berater und Biograph. Gleichzeitig fungierte er unter dem Namen »O.G. Roeder« als BND-Mitarbeiter in Jakarta und veröffentlichte unter diesem Pseudonym dort 1970 das vor Lobhudelei strotzende Buch »The Smiling General: President Soeharto of Indonesia«. Seitdem war in der internationalen Presse- und Medienlandschaft häufig vom »lächelnden General« die Rede, wenn es mal wieder galt, Suhartos Politik schönzufärben.
Laut Recherchen des WDR-Fernsehmagazins »Monitor« bildete der BND auch indonesische Agenten in Deutschland aus. Überdies lieferte man aus Deutschland militärische Elektronik, zum Beispiel über die BND-nahe Firma Telemit. Die Geheimdienstkontakte hatten sich dermaßen eng gestaltet, daß der BND in der Deutschen Botschaft in Jakarta eine »legale Residentur« einrichten konnte. Der Zweck dieser BND-intern »FB70« bezeichneten Auslandsvertretung: enge Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst der Suharto-Diktatur. Auch politisch-diplomatisch wurden die Bande zwischen Bonn und Jakarta, insbesondere während der Kohl-Ära, innig gepflegt. Im Herbst 1996, als der Exbundeskanzler zu Staatsbesuchen nach Südost- und Ostasien aufbrach, war Jakarta eine wichtige Zwischenstation. Dort wurde die »Männerfreundschaft« (so Kohl über seinen Freund Suharto) beim gemeinsamen Segeln und Angeln gefestigt.
»Terror der Ökonomie«
Was dem Regime in Jakarta letztlich zum Verhängnis wurde, waren der »Terror der Ökonomie« und daraus resultierende soziale Konflikte. Als im Sommer 1997 Südost- und Ostasien von einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise erfaßt, Milliardenbeträge aus der Region abgezogen und aggressiv gegen dortige Währungen spekuliert wurde, brach Indonesiens vermeintliche Boomwirtschaft wie ein Kartenhaus zusammen. Der tiefe Fall der Landeswährung, der Rupiah, war vor allem durch die im Ausland genährte Skepsis über die Ernsthaftigkeit des Reformwillens im Wirtschafts- und Finanzsektor Jakartas ausgelöst worden. Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und westeuropäischen Banken gingen die von Jakarta in Aussicht gestellten Maßnahmen zur Überwindung der »Asienkrise« nicht weit genug. Da genügte allein das Gerücht, der IWF gedenke im Verbund mit der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank das für Indonesien geschnürte Hilfspaket von 43 Milliarden US-Dollar zu kürzen, um die Rupiah in den Keller absacken zu lassen.
Noch im September 1997 war die Weltbank voll des Lobes und ortete gerade in Indonesien innerhalb der letzten Dekade eine außergewöhnlich erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung, die das Land zu den »best performing economies« in der Region aufrücken ließ. Als sei zwischenzeitlich nichts geschehen, tauchte diese Einschätzung sogar noch im Frühjahr 1998 auf der Website der Weltbank auf.
Von »Freunden« fallengelassen
Mitte Januar 1998 sorgten zwei Berichte für Furore: ein publik gewordener, ursprünglich nur für den internen Gebrauch vorgesehener Report des IWF sowie das Indonesien-Feature in der Londoner Zeitschrift The Economist. Zu den Jakarta gestellten Bedingungen für die Gewährung eines 43 Milliarden US-Dollar umfassenden Pakets gehörte die Auflösung von 16 als insolvent eingestuften Banken. Allein diese Nachricht hatte Panik ausgelöst und dem ohnehin erschütterten Finanzsektor einen zusätzlichen Hieb versetzt.
Am 17. Januar machte der Economist seine Hintergrundanalyse mit einem Foto auf, auf dem das Banner »Step down, Suharto« prangte: »Mr. Suharto«, so hieß es in dem Bericht, »hat es weitaus besser verstanden, Reformen anzukündigen, als diese auch umzusetzen. Er ist nicht zuletzt angehalten, ein Wirtschaftsgebäude aufzubrechen, das seinen Söhnen und Töchtern enormen Reichtum beschert hat. (Das gesamte Familienvermögen schätzte das Wochenblatt auf umgerechnet bis zu 40 Milliarden US-Dollar, R. W.) (…) Suhartos sechs Kinder haben ihren politischen Einfluß genutzt, um sich große Kapitalanteile von Fluggesellschaften über Banken und petrochemische Firmen bis hin zum Timor, Indonesiens ehrgeizigem Automobilprojekt, zu sichern.«
Was die Kritik seiner ausländischen »Freunde« an der Amtsführung Suhartos besonders schürte, war dessen Budgetrede am 6. Januar 1998. Darin hatte der Präsident eine Erhöhung von Subventionen für Petroleumprodukte, Reis und Düngemittel sowie eine über 30prozentige Erhöhung der Regierungsausgaben angekündigt, ohne durchblicken zu lassen, wann solche kostspieligen Subventionen gestoppt würden. Das politische und ökonomische Krisenkarussell drehte sich unaufhörlich. Plünderungen, Straßenschlachten und Hamsterkäufe prägten in zahlreichen Städten des Landes das Alltagsbild. Schließlich kam am 15. Januar 1998 mit dem IWF ein neues Abkommen zustande, dessen Schlußakkord ein ungewöhnliches Gruppenfoto bildete. Es zeigte den IWF-Managing Director Michel Camdessus in imperialer Pose mit einem vor ihm sitzenden Suharto, strikt darauf achtend, daß dieser seine Unterschrift unter das vor ihm ausgebreitete Dokument setzte. Wer glaubte, dies würde die Märkte beruhigen, hatte sich getäuscht. Die Aktienkurse sackten nochmals um knapp fünf Prozent ab und die Rupiah glich Monopoly-Geld. Ihr Kurs erreichte am 22. Januar 1998 mit 17000 Rupiahs für einen US-Dollar ein Rekordtief (gegenüber 2400:1 im Juli 1997).
Um die Auslandsverschuldung von 140 Milliarden Dollar halbwegs in den Griff zu bekommen, verkündete Jakarta Ende Januar einen zeitweiligen Rückzahlungsstop öffentlicher Schulden in Verbindung mit geplanten Bankenreformen. Im verzweifelten Bemühen, wenigstens Devisen im Lande zu behalten, dachte Suharto seit Mitte Februar 1998 über eine Währungsbehörde nach, welche die Einbindung der Rupiah in ein festes Wechselkursverhältnis gegenüber dem US-Dollar in Höhe von 5500:1 garantieren sollte. Das hätte seitens des IWF das Faß fast zum Überlaufen gebracht. Er drohte Suharto, in einem solchen Falle das gesamte, 43 Milliarden Dollar umfassende Kreditpaket auszusetzen.
Rasante Verarmung
Langjährig geschätzt war das Regime auch wegen seiner makroökonomischen Erfolge. Suharto holte vorwiegend in den USA und in Europa geschulte Ökonomen in sein Kabinett, um gegenüber westlichen Kapitalgebern Solidität zu signalisieren. Die bei seiner Machtübernahme 1000prozentige Inflationsrate konnte auf ein zweistelliges Niveau gedrückt werden, Investitionen wurden verstärkt angelockt, die Infrastruktur wurde ausgebaut, das Gesundheits- und Schulwesen reformiert und die hohe Geburtenrate drastisch gesenkt. Als Öllieferant und mächtiges OPEC-Mitglied profitierte das Inselreich zudem lange vom Ölboom.
Jakartas glitzernde Skyline konnte jedoch nie den Blick auf die enorme Kluft zwischen Arm und Reich verstellen. Selbst innerhalb eines Betriebs war ein Verhältnis von 1:100 oder mehr zwischen den niedrigsten und höchsten Lohngruppen keine Seltenheit.
Ein Problem stellte vor Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise die Arbeitslosigkeit beziehungsweise Unterbeschäftigung dar. Im Frühjahr 1998 bezifferte die Indonesian Association of Muslim Intellectuals die Gesamtzahl der Arbeitslosen auf zwölf Millionen im Großraum Jarkata. Die noch beschäftigt waren, wurden mit erzwungenen Überstunden und abgesenkten Löhnen in die Zange genommen, wobei das gesetzlich fixierte Lohnminimum seit Frühjahr 1997 nicht angehoben worden war und mit umgerechnet 65 US-Cent pro Tag möglicherweise das weltweit niedrigste darstellte. In der angespannten sozialen und wirtschaftlichen Lage wurde eine Pogromstimmung gegen die chinesische Minderheit (etwa drei Prozent der Bevölkerung) geschürt sowie interethnische und -religiöse Konflikte, die ihrerseits von Kräften des Ancien régime instrumentalisiert wurden.
Im Schatten von »Reformasi«
Seit Mitte der 1960er Jahre hatte das Militär eine »Neue Ordnung« geschaffen, wobei es sich die Doppelfunktion äußerer Verteidigung und sozialpolitischer Befriedung im Innern zuwies. Aufstände auf den Molukken und in Aceh (Nordsumatra) wurden niedergeschlagen, Staatsfeinde eingesperrt, Intellektuelle mit Schreib-, Veröffentlichungs- und Redeverbot belegt. Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Gewerkschaften, die sich für die Einführung eines Mindestlohns von umgerechnet gerade einmal zwei Euro pro Tag einsetzten, ein Ende militärischer Einmischung in Arbeitskonflikte sowie das Recht auf Bildung freier Gewerkschaften forderten, blieben den Machthabern ein Dorn im Auge.
Mit dem Ende der Ära Suharto erlischt keineswegs der das gesamte öffentliche Leben durchdringende Machteinfluß des Militärs. Die mit gesellschaftlichen Reformerwartungen (Reformasi) verknüpfte Post-Suharto-Ära blieb überschattet von sozialpolitischen Unruhen in zahlreichen Provinzen des Archipels und nach Unabhängigkeit strebenden Kräften in Aceh, Maluku sowie in Irian Jaya (Westpapua). Dort praktizierte das Militär mit dem Argument, unbedingt die Einheit des Landes und nationale Integrität zu wahren, unterschiedliche Strategien der Aufstandsbekämpfung. Ganz zu schweigen von der ehemaligen portugiesischen Kolonie Osttimor, wo der Suharto-Nachfolger Habibie ein Plebiszit zuließ, bei dem am 8. August 1999 die große Mehrheit der Osttimoresen für die Unabhängigkeit votierte. Doch ihr Weg in die Autonomie (20. Mai 2002) war von Gewalt gesäumt, als vom indonesischen Militär gebildete paramilitärische Milizen ein Kesseltreiben gegen Befürworter der Unabhängigkeit entfachten, dem zu spät nach Osttimor entsandte UN-Truppen tatenlos zusahen.
Nach Habibie bekleideten mit Abdurrahman Wahid und Megawati Sukarnoputri (Tochter des Staatsgründers und ersten Präsidenten Sukarno) zwei weitere Zivilisten das höchste Staatsamt, bis am 20. Oktober 2004 mit Susilo Bambang Yudhoyono erneut ein Exgeneral die Präsidentschaft übernahm. Unter seiner Ägide gedieh eine Kultur der Straffreiheit und selbst zaghafte Ansätze, die Ära Suharto jenseits staatlich verordneter Verklärung kritisch aufzuarbeiten, verebbten rasch. Bereits Ende September 2000 war Suharto ärztlich attestiert worden, nicht vernehmungs- und haftfähig zu sein. Gegen ihn angestrengte Verfahren wegen Korruption und Amtsmißbrauch verliefen im Sande. Eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde nie gegen ihn erhoben. Er genoß Immunität und verbrachte seinen Lebensabend in Jakartas Nobelviertel Menteng, wo er am 27. Januar 2008 infolge mehrfachen Organversagens starb.
Statt Aufarbeitung der Vergangenheit gilt ungebrochen Amnesie als Staatstugend. Eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende von Suhartos Herrschaft sind seine Mitstreiter von einst allesamt auf freiem Fuß. Denkmäler werden zu seinen Ehren errichtet, und in den Medien wird darüber debattiert, ob Suharto als Nationalheld einzustufen sei. Auch die bundesdeutschen Freunde leisten heute mit der Lieferung von 104 Kampfpanzern des Modells »Leopard 2«, 50 Schützenpanzern des Modells »Marder«, vier Berge-, drei Brückenlegepanzern und Munition ihren Beitrag dazu, die indonesischen Streitkräfte kräftig aufzurüsten und sie wieder für Repressionen im Innern zu wappnen.
Massaker im Namen der Freiheit
Indonesiens erster Präsident Ahmed Sukarno wollte den Inselstaat nach der proklamierten Unabhängigkeit (17. August 1945) politisch einen, sozial befrieden und wirtschaftlich entwickeln. Als Konzept dazu diente ihm die NASAKOM – eine Allianz aus Nationalisten, Gläubigen und Kommunisten. Doch bereits Ende der 1950er Jahre war dieses Ideal gescheitert. Mit der Einführung der »gelenkten Demokratie« gelang es den Militärs, ihre Stellung in Staat und Gesellschaft auszubauen und ab Herbst 1965 zur dominierenden politischen Kraft aufzusteigen. Vor allem die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI), damals nach der KP Chinas und der KPdSU die weltweit drittgrößte kommunistische Partei, bildete in der Sicht der Mächtigen im Lande und der in der Region auf Hegemonie bedachten USA eine Bedrohung.
Als kritisch hatte die US-amerikanische Regierung die politische Situation Anfang 1965 eingeschätzt, nachdem Malaysia in den UN-Sicherheitsrat aufgerückt war und Indonesien daraufhin den Vereinten Nationen den Rücken kehrte. Die Absprachen zwischen indonesischen und amerikanischen Militärs häuften sich, zumal der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson in Indonesien eine ähnliche Entwicklung befürchtete wie in Vietnam. Jedenfalls wurde dem Oberkommando der Streitkräfte freie Hand gelassen, einen Plan zu entwerfen, dessen vorrangiges Ziel darin bestand, den selbsterklärten Antiimperialisten Sukarno zu beseitigen, linke Nationalisten, Gewerkschafter und Kommunisten auszuschalten, eine außenpolitische Kehrtwende in Richtung Westen vorzunehmen und das Land für ausländische Investitionen weit zu öffnen. Unter dem Vorwand, eine vermeintlich bevorstehende Machtübernahme der PKI zu vereiteln, ergriffen ab Anfang Oktober 1965 Generalmajor Suharto als Chef der Eliteeinheit KOSTRAD sowie ihm ergebene Offiziere schrittweise die Macht. »Säuberungsaktionen«, die in erster Linie Mitglieder und (verdächtigte) Sympathisanten der PKI das Leben kosteten, begleiteten die präsidialen Ambitionen Suhartos.
Dreieinhalb Jahrzehnte nach dem Gemetzel plazierten Mitarbeiter des National Security Archive (NSA) der George Washington University ein in den 1960er Jahren vom State Department (US-Außenministerium) erstelltes Geschichtsbuch über Amerikas Rolle in Indonesien am 27. Juli 2001 auf ihrer Homepage. Das NSA ist eine Gruppe engagierter Akademiker, die sich, gestützt auf den Freedom of Information Act, kritisch mit Fragen der nationalen Sicherheit auseinandersetzen und von der Regierung deklassifizierte Dokumente zugänglich machen.
Das Dokument mit dem Titel »Die auswärtigen Beziehungen der Vereinigten Staaten, 1964–68 – Band XXVI: Indonesien; Malaysia-Singapur; Philippinen« enthält im Kapitel über Indonesien beklemmende Beweise staatsterroristischer Akte auf Gegenseitigkeit. »Wir wissen – ehrlich gesagt – nicht genau«, heißt es da, »ob die tatsächliche Zahl (getöteter PKI-Mitglieder) näher bei 100000 oder bei 1000000 liegt, doch wir halten es für klüger, vor allem im Falle von Nachfragen seitens der Presse, von der niedrigeren Schätzung auszugehen.« Der damalige US-Botschafter in Jakarta, Marshall Green, kabelte am 10. August 1966 nach Washington, man habe eine von der Botschaft erstellte Liste von führenden PKI-Kadern den indonesischen Sicherheitskräften übermittelt, denen es offensichtlich an solchen Informationen mangelte.
Am 28. November 1975 hatte die zuvor aus Wahlen siegreich hervorgegangene Unabhängigkeitsbewegung Fretilin in der früheren Kolonie Portugiesisch-Timor die Demokratische Republik Osttimor ausgerufen. Gerade mal neun Tage bestand diese Republik, als die indonesische Soldateska ihr am 7. Dezember 1975 gewaltsam ein Ende bereitete. Das Regime in Jakarta annektierte Osttimor ein Jahr später als 27. Provinz Indonesiens und errichtete dort bis 1999 ein Terrorregime.
Der damalige US-Präsident Gerald R. Ford und sein Außenminister Henry A. Kissinger hatten sich nicht nur für massive Waffenlieferungen an Jakarta stark gemacht. Das Ford-Kissinger-Tandem befand sich Ende 1975 auch auf Stippvisite in Ost- und Südostasien und stattete Suharto just einen Tag vor der indonesischen Invasion in Osttimor einen Besuch ab. Kissinger empfahl Suharto zweierlei. Jakarta solle die Invasion erst beginnen, wenn er (Kissinger) und der Präsident wieder in Washington gelandet seien. Und Suharto wurde zum »Quick fix« gedrängt. Im Klartext: Das Militär sollte den Einmarsch auf schnellst möglichem Wege, im Sinne eines »chirurgischen Eingriffs« durchführen.
Am 28. Januar 2008 legte das NSA zusätzliche Dokumente zur Zeit der Osttimor-Invasion 1975/76 vor, welche die Komplizenschaft der damaligen Ford-Administration mit dem Suharto-Regime belegen. Diese Dokumente vermitteln tiefe Einblicke in das, was der Publizist Anthony Lewis »Kissinger-Realismus« nannte. So hatte der frühere US-Außenminister unmittelbar nach dem Suharto-Besuch Anfang Dezember 1975 kritische Nachfragen in seinem eigenen Stab mit der ihm eigenen Arroganz pariert, es widerspräche dem nationalen Interesse, wegen des unbedeutenden Osttimor den »Indonesiern die Zähne einzuschlagen«.
* junge Welt, Dienstag, 21. Mai 2013
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