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Noch fehlt der demokratische Geist

Zehn Jahre nach Suhartos Rücktritt zeigen sich viele Indonesier enttäuscht

Von Christina Schott, Jakarta *

Dieser Tage hat sich der Rücktritt des indonesischen Diktators Suharto zum zehnten Mal gejährt.

»An Indonesien wird sich zeigen, ob Islam und Demokratie miteinander kompatibel sind«, erklärt Budiman Sujatmiko. Der ehemalige Studentenführer saß wegen seiner prodemokratischen Aktivitäten unter dem Militärregime des Diktators Suharto mehrere Jahre im Gefängnis. Einige seiner Freunde haben ihre Verhaftung nicht überlebt. Heute empfängt er seine Gäste im vornehmen Büro der Demokratischen Partei Indonesiens (PDI-P), für die er bei den Wahlen 2009 ins Parlament einziehen will. »Formal sind wir bereits eine Demokratie: Wie haben ein Vielparteiensystem, ein Verfassungsgericht und der Präsident wird direkt vom Volk gewählt. Was uns noch fehlt, ist der demokratische Geist, der für einen Wohlfahrtsstaat mit sozialer Gerechtigkeit notwendig wäre - sowie eine Aussöhnung mit der Vergangenheit.«

Zehn Jahre alt ist die Demokratie im Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Am 21. Mai 1998 trat Präsident Suharto zurück, nachdem Studenten im ganzen Land wochenlang »Reformasi« gefordert hatten -- eine Erneuerung des politischen Systems. Die Protestbewegung formierte sich im Laufe der Wirtschaftskrise, die das korrupte Militärregime seit 1997 stark geschwächt hatte, nachdem es mehr als 30 Jahre lang autoritär herrschte. Die Studentenproteste wurden zunächst gewaltsam niedergeschlagen. Der Aufruhr eskalierte in ethnischen Unruhen, denen vor allem chinesisch-stämmige Indonesier zum Opfer fielen.

»Die Mai-Unruhen waren von höherer Stelle geplant und keineswegs spontan. Auch die Plünderungen chinesischer Geschäfte und Massenvergewaltigungen chinesischer Frauen waren kein Zufall«, sagt die Menschenrechtlerin Karlina Leksono Supelli, damals einer der führenden Köpfe der »Bewegung«. »Tatsächlich tobte hinter den Kulissen des maroden Systems bereits ein unglaublicher Machtkampf, nur so lassen sich diese konzertierten Aktionen erklären. Die Studentenbewegung kann also nicht ganz für sich allein beanspruchen, Suharto zu Fall gebracht zu haben. Aber sie lieferte mit Sicherheit den notwendigen Anstoß - sonst hätte der Prozess vermutlich viel länger gedauert und noch viel mehr Gewalt hervorgebracht.«

Seit dem Rücktritt des im Januar verstorbenen Suharto hat sich Indonesien formal gesehen zwar in eine Demokratie verwandelt. Dennoch geht es in der täglichen Praxis oft nicht sehr demokratisch zu. Fast die Hälfte der Bevölkerung muss von höchstens zwei Dollar am Tag leben und hat nur sehr eingeschränkten Zugang zu den ohnehin maroden Gesundheits- und Bildungssystemen. Vor allem die allgegenwärtige Korruption verhindert einen Rechtsstaat.

»Die Reformasi hat zu vielen Gesetzesänderungen geführt, leider jedoch häufig nur auf dem Papier«, meint Supelli, die heute an der Philosophischen Hochschule Driyarkara in Jakarta lehrt. Sie nennt als Beispiele die ungesühnten Menschenrechtsverbrechen des Militärs unter Suharto: Hunderttausende politischer Gefangener, die Wiedergutmachung verlangen, Entführungen, Folterungen und Morde an Regimegegnern, deren Schicksal oft bis heute unaufgeklärt ist, brutale Unterdrückung von Unabhängigkeitsbewegungen in Osttimor, Aceh und Papua. »Ich fürchte, dass unser Land nach außen inzwischen so demokratisch aussieht, dass keiner mehr darauf schaut, was hinter den Kulissen passiert. Das Ausland bewertet den Standard einer Demokratie vor allem nach dem Verlauf der Wahlen. Eine formale Demokratie reicht aber nicht, solange die Korruption nicht wirklich unter politischen Druck gerät.«

Viele ehemalige Reformasi-Aktivisten sind enttäuscht von der Entwicklung ihres Landes und haben sich aus der Politik zurückgezogen. Weder die Studenten noch die intellektuelle Elite waren wirklich auf den politischen Prozess vorbereitet, der dem Umsturz Suhartos folgte. »Bei all den Forderungen nach Demokratisierung hatte unsere Bewegung ganz vergessen, sich darüber Gedanken zu machen, wie man ein Land regiert. Die Reformer haben es nicht geschafft, den von ihnen geöffneten Raum zu füllen. Am Ende blieb nur das alte Lager übrig: Es ist eine Tragödie der verpassten Chance«, bemerkt Budiman Sujatmiko. Um seine eigene Chance nicht zu verpassen, trat der Mitbegründer der linken Demokratischen Volkspartei (PRD) vor einigen Jahren in die etablierte PDI-P ein. Nur mit Hilfe bereits vorhandener Strukturen, so sagt er, habe er die Möglichkeit, etwas im Land zu bewegen.

Tatsächlich sind die alten Seilschaften aus dem System Suharto in den zehn Jahren Demokratie nicht schwächer geworden - auch nicht nach dem Tod des Despoten, der ein Staatsbegräbnis erhielt.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2008


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