Indien rettet die Welt
Weniger Profit, aber Hunderte Millionen Arme dürfen hoffen: Regierung des 1,3-Milliarden-Volks verweigert Zustimmung zum Bali-Abkommen der WTO
Von Klaus Fischer *
Das Bali-Abkommen ist gescheitert. Die im Dezember auf der indonesischen Ferieninsel im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbarten Regelungen können nicht in Kraft gesetzt werden. »Wir waren nicht in der Lage, eine Lösung zu finden, mit der wir den Graben hätten überbrücken können«, erklärte WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo in der Nacht zum Freitag in Genf. Dort hatten sich Vertreter der 160 Mitgliedsstaaten getroffen, um das nach einem 20jährigen Prozeß von Verhandlungen, Verlockungen und Erpressungen Vereinbarte endgültig zu beschließen.
Der Öffentlichkeit ist »Bali« als ein »Durchbruch« für kommende »Handelserleichterungen« bekannt. Überall auf der Welt sollte der Kommerz zu gleichen Regeln und unter Androhung gleicher Sanktionen stattfinden können. Alles Böse, wie Zölle, Aus- und Einfuhrbeschränkungen oder gar Subventionen, wäre ausgemerzt. Entsprechend verstört reagierte man auf das Scheitern: »Wir bedauern, daß eine Handvoll Mitglieder sich entschieden haben, ihre Zusagen nicht zu erfüllen«, verkündete der US-Handelsbeauftragte Michael Froman. Und Australiens Handelsminister Andrew Robb klagte, »dieser Mißerfolg ist ein schwerer Schlag für die in Bali wiederhergestellte Zuversicht, daß die WTO ausgehandelte Ergebnisse liefern kann«.
Ja, es ist ein trauriger Tag – für die Hauptprofiteure der Globalisierung, diesem Megaprojekt der »vereinigten Weltkonzerne«, das zunehmend nationale Souveränität zugunsten des globalen Kapitalverkehrs einschränkt oder gar aufhebt. Marktmechanismen nutzen der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Zur Sicherung einer Grundversorgung taugen sie nicht. Und »freie Märkte« sind bei der Dominanz der Multis ohnehin eine Schimäre.
Für jene, die Mensch sein nicht nur an der Profitrate messen, ist es ein Glückstag. Aus der »Handvoll« renitenter Staaten, die das Vorhaben jetzt stoppten, ragt Indien hervor. Die neue Regierung auf dem Subkontinent ließ sich nicht überfahren. Sie beharrte auf ihrem Einwand, der im Bali-Protokoll lediglich als »vorübergehend« gekennzeichnet war. Denn der ist gewichtig.
Das Kabinett von Premier Narendra Modi sorgt sich um die Armen, die Unterprivilegierten im Lande. Davon hat der neben China bevölkerungsreichste Staat der Welt viel zu viele. Um diesen Menschen wenigstens die tägliche Mahlzeit zu sichern und gleichzeitig die meist kleinteilige Landwirtschaft zu stabilisieren, kauft Neu-Delhi jedes Jahr große Mengen Reis von einheimischen Bauern. Diesen gab und gibt sie verbilligt an Arme. Nach den Spielregeln der WTO gilt das als Subvention, es ist nicht erlaubt. Auf Bali einigten sich die Vorgängerregierung mit den großen Welthandelsmächten auf einen Kompromiß: Die Armenspeisung dürfe nur noch für eine Übergangszeit bis 2017 in dieser Art betrieben werden. Dem wollte und konnte Modis Kabinett nicht zustimmen. Obwohl die am Donnerstag extra nach Delhi geeilten US-Minister John Kerry und Penny Pritzker versuchten, die Regierung umzustimmen, blieb Modi hart: Entweder die Ausnahmeregelung gilt immer, oder es gibt keine Unterschrift zu Bali.
Selbst Indiens Wirtschaft zeigte Verständnis für ihre Regierung: »Wir befürworteten Handelserleichterungen, (…) aber hier geht es um die Sorgen und Nöte von 700 Millionen Menschen«, sagte ein Sprecher des Industrieverband CII laut dpa.
P.S.: Danke auch den anderen Bali-»Querulanten«: Neben Indien stimmten u.a. Kuba und Venezuela gegen den Pakt.
* Aus: junge Welt, Samstag, 2. August 2014
Bedeutungslose WTO
Kurt Stenger über das Scheitern des Bali-Freihandelsabkommens **
Das wird Konsequenzen haben – der Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Roberto Azevêdo, übte sich in Drohungen gegenüber der indischen Regierung. Diese hatte zuvor ein neues multilaterales Freihandelsabkommen platzen lassen, auf das sich die WTO-Mitgliedstaaten Ende 2013 geeinigt hatten.
Indien als bösen Buben hinzustellen, ist freilich falsch. Sicher, das Bali-Abkommen sollte bürokratische Handelshemmnisse abbauen und den Warenverkehr beschleunigen. Profitiert hätten aber nur die exportstarken Industrie- und Schwellenländer, nicht aber die armen Staaten. Dabei stehen die WTO-Verhandlungen seit über zehn Jahren unter dem Rubrum »Entwicklungsrunde«. Diese haben damit aber bisher nur wenig zu tun – auch im Landwirtschaftsbereich: Die großen Industriestaaten sollen ihren Agrarsektor weiter üppig subventionieren dürfen, während armen Staaten eine nicht marktkonforme Sicherung der Ernährung untersagt bleibt.
Freihandel basiert seit Langem auf einem Wildwuchs an bilateralen oder regionalen Abkommen. Gleichzeitig verabschiedet sich eine wachsende Zahl von Ländern im Süden angesichts der damit verbundenen Probleme daraus. Das Scheitern des Bali-Pakts zeigt vor allem eines – die anhaltende Bedeutungslosigkeit der WTO.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 2. August 2014 (Kommentar)
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