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Arme Wirtschaftsmacht Indien

Das Partnerland der Hannover Messe wächst kräftig - doch der Nachholbedarf im Sozialbereich ist groß

Von Hilmar König, Delhi *

Als Indiens Premier Narendra Modi am Sonntagabend zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hannover Messe eröffnete, präsentierte er sein Land als aufstrebende Wirtschaftsmacht. Indien ist in diesem Jahr Partner der großen Industrieshow und will Investoren mit dem Slogan »Make in India« anlocken. Modi möchte bis 2025 den Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt (BIP) des 1,3-Milliarden-Landes von derzeit 15 auf 25 Prozent steigern.

Allerdings hat der Subkontinent enormen Nachholbedarf im Sozialen. »Indien rangiert selbst hinter Nepal«, titelte jetzt die Zeitung »The Hindu«, nachdem die Nichtregierungsorganisation »Social Progress Imperative« den »Sozialen Fortschrittsindex 2015« vorgelegt hatte. Indien nimmt darin die Position 101 von 133 bewerteten Ländern ein. Am besten schnitt Norwegen ab, die Schweiz kam auf Platz drei und Deutschland auf Rang 14.

Der Bericht, der als Alternative oder mindestens als wichtige Ergänzung des Bruttoinlandsprodukts bei der Erfassung des nationalen Wohlstandes betrachtet wird, berücksichtigt 52 Faktoren aus dem sozialen Bereich und dem Umweltschutz. Dazu zählen Zugang zu Grundschulwissen und höherer Bildung, Wohnen, sanitäre Verhältnisse, Gesundheit und Wohlfahrt, Wasserversorgung und Nahrungsmittelsicherheit, persönliche Rechte und Freiheiten, nachhaltiges Ökosystem, Toleranz und gesellschaftliche Teilhabe.

Indiens arme südasiatische Nachbarn Sri Lanka, Nepal und Bangladesch schneiden etwas besser ab als die aufstrebende Wirtschaftsmacht. Diese kann immerhin auf beeindruckende Wachstumsraten verweisen, während der große Konkurrent China an Boden verliert. Für das Finanzjahr 2014/15 wurde der Zuwachs auf 7,4 Prozent geschätzt, für 2015/16 werden 8 bis 8,5 Prozent Wachstum anvisiert. Das Haushaltsdefizit konnte zuletzt auf 4,1 Prozent des BIP gesenkt, die Inflationsrate auf rund 5 Prozent halbiert werden. Vor diesem Hintergrund erhöhte die Ratingagentur Moody’s gerade den Ausblick für die Wirtschaft Indiens von stabil auf positiv.

Mit diesem sehenswerten Gepäck ist Premier Modi zu seinem offiziellen Besuch nach Deutschland gereist, wo er nach der Eröffnung der Hannover Messe am Montag auf dem Deutsch-Indischen Wirtschaftsgipfel sprechen wird. Indien nimmt in diesem Jahr mit 330 privaten und staatlichen Unternehmen als offizielles Partnerland an der Messe teil. Modi, Hoffnungsträger für ökonomischen Fortschritt, will sein Heimatland zur globalen Werkbank mit Millionen zusätzlicher Arbeitskräfte und zu einem lukrativen Produktionsstandort machen sowie die Wettbewerbsfähigkeit indischer Erzeugnisse erhöhen. Über 250 deutsche Firmen produzieren bereits in Indien. Zwischen 2000 und 2014 verzeichnete das Land deutsche Direktinvestitionen von sechs Milliarden Dollar. Die Bundesrepublik ist sechstgrößter Handelspartner mit einem Volumen von 21 Milliarden Dollar, gut die Hälfte davon steuern Erzeugnisse der verarbeitenden Industrie bei.

Im Kontrast zur Wirtschaftsleistung stehen die Ergebnisse im Sozialbereich, wie der SPI erneut belegt. Position 120 bei Gesundheit und Wohlfahrt sind kein Ruhmesblatt. Soziale Gerechtigkeit, so der Exekutivdirektor der »Social Progress Imperative«, Michael Green, sei in einem so mannigfaltigen Land wie Indien mit so vielen Kasten, Religionen, Kulturen, Sprachen und der extremen Schere zwischen Arm und Reich »ein komplexes Problem«. Seiner Ansicht nach ist Wirtschaftswachstum das eine, »wichtiger für politische Entscheidungen ist sozialer Fortschritt«. Das weiß auch Premier Modi, obwohl er dazu in seiner Rede keine längeren Ausführungen vorgesehen hatte. Artikel weiterempfehlen und ausdrucken

* Aus: neues deutschland, Montag, 13. April 2015


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