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Wasser für die Wüste

Indien forciert ein billionenteures Kanalnetz, das die großen Flüsse verbinden soll

Von Thomas Berger *

Die neue Regierung Indiens will das umstrittene Megaprojekt zur Verbindung der großen Flusssysteme nun konkret umsetzen.

Die Pläne, Indiens große Ströme mit einem landesweiten Kanalsystem zu versetzen, sind über drei Jahrzehnte alt. Mehrfach verschwand das Megaprojekt wieder in den Schubladen. Mit dem jüngsten Machtwechsel in Delhi soll das ökologisch wie ökonomisch umstrittene »Interlinking-Projekt« nun umgesetzt werden.

Der Ganges mit 2600 Kilometern im Norden, die 1300 Kilometer lange Narmada im zentralen Bereich, im Süden der fast ebenso lange Krishna, der Godavari mit beinahe 1500 Kilometern und die Kaveri (Cauvery) mit immerhin noch knapp 800 Kilometern – Indien ist reich an großen Flüssen. Wasser ist auf dem Subkontinent dennoch höchst ungleichmäßig verteilt: Während nordöstliche Landstriche in der Monsunzeit regelmäßig überschwemmt sind, gibt es im Deccan-Hochland immer wieder Dürren. Im Süden streiten sich die Bundesstaaten Tamil Nadu und Karnataka bis hin zu gegenseitigen Sanktionen um die eigentlich vertraglich festgelegte Aufteilung des Kaveri-Wassers. Rajasthan im Nordwesten ist zum Großteil Wüste und Halbwüste.

Eine Milliarde Rupien (12,5 Millionen Euro), hat die seit Mai im Amt befindliche neue Regierung unter Führung der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi nun im aktuellen Haushalt für die erste Phase des Interlinking-Projekts reserviert. Noch 2014/15 soll mit der konkreten Planung der ersten sechs Kanäle begonnen werden. Insgesamt sind 30 Flussverbindungen vorgesehen, davon 14 im Himalaja-Bereich. Sollten alle geplanten Kanäle gebaut werden, käme das Netz auf eine Gesamtlänge von 15 000 Kilometern. Dazu gehören außerdem 3000 Wasserspeicher und Anlagen, die insgesamt 34 Gigawatt Strom aus Wasserkraft erzeugen können. 35 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche könnten bewässert werden, jährlich 174 Billionen Liter würden durch das System fließen. Allerdings sind auch die Kosten gigantisch. Mindestens 5,6 Billionen Rupien wird die Umsetzung kosten. Zudem müssten 580 000 Menschen umgesiedelt werden.

Hatte die frühere INC-Regierung noch gezögert, ein Urteil des Obersten Gerichts vom Februar 2012 umzusetzen, in dem die Richter das »nationale Interesse« höher als das einzelner Unionsstaaten einstuften und einen baldigen Beginn der Arbeiten anmahnten, lässt die neue Administration nun jede Zurückhaltung fallen. Hatten sich unmittelbar nach der Wahl im Mai Wasserministerin Uma Bharti und Umweltminister Prakash Javadekar auf Reporterfragen noch ausweichend geäußert, stehen nun die Pläne für das erste Paket. Applaus kommt etwa von Chandrababu Naidu, Chefminister des Unionsstaates Andhra Pradesh. Er freue sich über die Aktivität nach Jahren des Stillstandes, wurde Naidu in der »International Business Times« zitiert: »Es geht darum, Andhra Pradesh zu einem vor Dürren sicheren Staat zu machen.« Landwirtschaftliche Nutzfläche könnte erheblich ausgeweitet werden. Ähnliches erhofft sich Vasundhara Raje, seine Chefminister-Kollegin in Rajasthan. Im Wüstenstaat geht es primär um die Sicherung des Trinkwasserbedarfs. Verwiesen wird darauf, dass Premier Modi kleinere Interlinking-Projekte schon in seinen Jahren als regionaler Regierungschef in Gujarat erfolgreich umgesetzt habe.

Eine scharfe Kritikerin haben die Pläne dagegen in Medha Patkar: Der Eingriff in die Natur sei riskant, etliche Behauptungen der Regierung »sind nicht einfach nur falsch, sondern eine glatte Lüge«, zitierte die Nachrichtenagentur IANS die Aktivistin bei einem Auftritt vor der Industrie- und Handelskammer in Kolkata. »Es geht nicht nur darum, auf der Landkarte ein paar Striche zu zeichnen.« Patkar weiß, wovon sie spricht: Seit Jahren steht sie an der Spitze der Narmada Bachao Andoland, jener Bewegung, die für eine Begrenzung ökologischer und sozialer Schäden durch den gigantischen Staudammbau am Narmada kämpft.

* Aus: neues deutschland, Freitag 5. September 2014


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