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Siegesfeiern müssen warten

Rekordbeteiligung an Wahlen in Indien / Prognosen sehen Hindu-Nationalisten klar vorn

Von Hilmar König, Delhi *

Die hindu-nationalistische Indische Volkspartei (BJP) steht Hochrechnungen zufolge bei den Parlamentswahlen vor einer absoluten Mehrheit. Bei den Wahlen hat es eine Rekordbeteiligung gegeben.

Indien muss noch bis Freitag warten. Dann wird das Endresultat der mehrwöchigen Parlamentswahlen mitgeteilt. Doch Hochrechnungen gibt es bereits. Laut Befragungen von rund einer Million Wählern nach deren Votum haben die hindu-nationalistische Indische Volkspartei (Bharatiya Janata Party - BJP) und ihre politischen Verbündeten das Rennen für sich entschieden. Die Ergebnisse variieren zwar von Fernsehsender zu Fernsehsender, doch ein Trend ist erkennbar: Die von der Kongresspartei zehn Jahre lange geführte Vereinte Progressive Allianz muss das Regierungszepter wohl abgeben.

Nach einer vom Sender »Times Now« in Auftrag gegebenen Prognose, für die 500 000 Wähler befragt wurden, könnte das BJP-Bündnis 249 bis 262 Sitze bekommen. Andere Umfragen geben ihm sogar eine absolute Mehrheit, also mindestens 272 Mandate. Im Durchschnitt der verschiedenen Hochrechnungen kommt das BJP-Bündnis auf 280 der insgesamt 543 Parlamentssitze. Die Allianz um die Kongresspartei erhielte demnach 111 Mandate; andere Parteien beziehungsweise Unabhängige stellen 152 Abgeordnete.

Diese Prognosen sind allerdings mit Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen. Erstens legen sich die Meinungsforscher nicht fest, sondern räumen einen Ungenauigkeitsspielraum bis zu 10 Prozent ein. In der Vergangenheit lag die Fehlerquote sogar zwischen 10 und 30 Prozent. Viele der Befragten hatten offensichtlich keine korrekten Angaben gemacht. So kam es 2004 und auch 2009 zu den überraschenden Siegen der Allianz um die Kongresspartei. Alle Hochrechnungen und Medienprognosen lagen damals daneben. Ob die Befragten diesmal ehrlicher waren, wird sich am Freitag zeigen. Deshalb hält das BJP-Bündnis mit Siegesfeiern noch zurück. Und auf der anderen Seite haben die prognostizierten Verlierer noch nicht auf Halbmast gesetzt. Sie hoffen noch.

Fest steht hingegen, dass Indien eine beispiellos erbitterte Wahlschlacht mit zahlreichen Hieben unter die Gürtellinie, Verletzungen des Wahlkodexes und in der letzten Phase am Montag mit gewaltsamen Auseinandersetzungen erlebt hat. Fest steht auch, dass die BJP dieses Votum zu einer Art Präsidentenwahl umfunktioniert hatte, indem sie ihren Spitzenkandidaten Narendra Modi zur Galionsfigur machte und einen unglaublichen Wahlrummel um ihn aufzog. Ihr zentraler Slogan: »Diesmal eine Modi-Regierung!«

Tatsache ist zudem, dass zur Beeinflussung der Wähler Unsummen von Schwarzgeld und viel Alkohol geflossen sind. Die Behörden konfiszierten in diesem Zusammenhang nach Angaben der Wahlkommission 331 Milliarden Rupien Bargeld (4 Milliarden Euro) und 225 Millionen Liter Alkohol. Einen Rekord registrierte die Kommission ebenfalls: 541 Millionen der 815 Millionen Wahlberechtigten – etwas mehr als 66 Prozent – gaben ihre Stimme ab, so viele wie nie zuvor in Indien.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. Mai 2014


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