Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Massaker in Assam

Mord an 32 Menschen überschattet die Wahlen in Indien

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Während die Parlamentswahlen in Indien bislang insgesamt weitgehend friedlich verlaufen sind, eskaliert in Assam die Situation. In zwei Distrikten des nordöstlichen Bundesstaates haben militante Separatisten seit Donnerstag 32 Menschen umgebracht. Die Parteien werfen sich gegenseitig vor, die Lage in dem multiethnischen Gebiet angeheizt zu haben, um Wähler für sich zu gewinnen. Mit einer Ausgangssperre und verstärkter Militärpräsenz hofft die Regionalregierung nun, die Situation in den Griff zu bekommen.

Die beiden Distrikte Kokrajhar und Baksa liegen im Gebiet Bodoland der ethnischen Minderheit der Bodos. Diese kämpfen seit Jahren um Autonomie bzw. einen Separatstaat, anfangs mit der Waffe, inzwischen auch als Koalitionspartner in der assamesischen Regierung. In Bodoland leben aber auch viele muslimische Bengalen, die in den 70er Jahren während des Befreiungskrieges im heutigen Bangladesch nach Indien geflohen waren. Zwischen beiden Gemeinschaften bestehen seit Jahrzehnten Spannungen, die immer wieder in Gewalt ausarten.

Am Donnerstag überfielen schwerbewaffnete militante Separatisten, die der Nationaldemokratischen Front Bodolands (Songbijit) angehören sollen, mehrere Dörfer und massakrierten Kinder, Frauen und Männer. Erst am Samstag wurde das Ausmaß der Überfälle bekannt: 32 Tote, Dutzende Verletzte, abgebrannte Behausungen und Tausende Menschen auf der Flucht. Angeblich handelt es sich um Vergeltung, weil die muslimischen Migranten bei den Wahlen für einen unabhängigen Kandidaten und nicht für den der Bodos gestimmt hätten. Premier Manmohan Singh verurteilte die Attacken als »feige Versuche, Angst und Terror unter unseren Bürgern zu verbreiten«. Assams Chefminister Tarun Gogoi, der einer von der Kongreßpartei geführten Koalitionsregierung vorsteht, lehnte einen Rücktritt ab und versicherte, »die Terroristen entschlossen zu bekämpfen«. Die verdächtigte Bodofront lehnte jede Verantwortung für das Verbrechen ab und sprach von einer »politischen Verschwörung«.

Inzwischen beschuldigen sich die Kongreßpartei und die hindu-nationalistische Indische Volkspartei (BJP) gegenseitig, Mitschuld an der Tragödie zu tragen. BJP-Spitzenkandidat Narendra Modi hatte im April während eines Wahlmeetings in Assam erklärt, die »illegalen muslimischen Bangladeschi« zurückzuschicken, wenn er zum Regierungschef gewählt wird. Er behauptete sogar, im Nationalpark Kaziranga würden die vom Aussterben bedrohten Nashörner getötet, um Platz für diese Bangladeschi zu schaffen. Derartige Bemerkungen, so die Kritiker, haben das Klima vergiftet und seien Wasser auf die Mühlen der Bodo-Militanten. Die Sozialaktivistin Bina Lakshmit Nepram verwies darauf, daß die hindu-fundamentalistische Organisation RSS, deren Ideologie auch die BJP folgt, im gesamten indischen Nordosten aktiv ist und die Hoffnungen dortiger Hindus schürt, daß Modi tatsächlich »reinen Tisch mit den Immigranten aus Bangladesch« machen werde.

Die BJP hingegen fragte Indiens Premier Manmohan Singh, was dieser in den vergangenen zehn Jahren getan habe, um Recht und Ordnung in Assam zu gewährleisten. Die Partei warf ihm indirekt vor, die bengalischen Migranten zu verhätscheln, um sie als Wähler bei der Stange zu halten. Auch Chefminister Gogoi zeige sich immer wieder unfähig, Entspannung und ein Miteinander der verschiedenen Stämme, Religions- und Sprachgruppen zu erreichen.

* Aus: junge Welt, Montag, 5. Mai, 2014


Zurück zur Indien-Seite

Zur Indien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage