Engagement verdächtig
Indien: Staudammpläne gegen Willen der Bevölkerung. Geheimdienst mißtraut NGO
Von Hilmar König, Neu-Delhi *
Der ohnehin gigantische Sardar-Sarovar-Staudamm am Narmada-Fluß im Bundesstaat Gujarat wird von 121,9 auf 138,7 Meter erhöht, wie die indische Regierung am Donnerstag vergangener Woche beschloß. Damit würde sich die zu bewässernde Agrarfläche um 680000 Hektar und die Energieerzeugung um 40 Prozent erhöhen. Die Damm-Lobby jubelt, während rund 250000 Menschen – Stammesangehörige, Farmer und Fischer – ihre Existenzgrundlage verlieren.
Uma Bharti, die neue Ministerin für Wasserressourcen, teilte mit, die Entscheidung fuße auf einem Bericht des Ministeriums für soziale Gerechtigkeit. Darin heißt es, die Beamten seien zu 100 Prozent zufrieden mit den vorgesehenen Maßnahmen zur Umsiedlung und Rehabilitation der Bevölkerung in dem Gebiet, das überflutet werden wird. Die Erfahrungen der Nichtregierungsorganisation »Narmada Bachao Andolan« (NBA; »Rettet die Narmada«) sehen ganz anders aus. NBA-Chefin Medha Patkar erklärte, es sei keine demokratische Entscheidung gewesen, weder ihre Organisation noch direkt Betroffene seien konsultiert worden. Seit Jahren warten aus dem Stauseegebiet Vertriebene in den beteiligten Bundesstaaten Madhya Pradesh, Maharashtra, Gujarat und Rajasthan auf ein Stück Land, auf dem sie sich eine Existenz aufbauen können.
Der Verdacht scheint sich zu bestätigen, daß die neue Regierung unter Premier Narendra Modi ihr Entwicklungsmantra durchpeitschen will. Eigentlich hatte er versprochen, alle Teile der Bevölkerung integrieren zu wollen. Die Schwachen bleiben jetzt offensichtlich auf der Strecke, während Industrielle, Großbauern und die städtische Mittel- und Oberschicht vom Narmada-Wasser profitieren.
Die Entscheidung fiel zusammen mit einem vertraulichen Bericht des Geheimdienstes (Intelligence Bureau; IB) an die Regierung über Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die teilweise vom Ausland finanziert werden. Der Report sorgte für Wirbel unter den Tausenden im Land tätigen Nichtregierungsorganisationen. Der IB nennt sowohl prominente NGO wie Greenpeace International oder Amnesty International als auch Einzelaktivisten. Diese protestieren unter anderem gegen Atomkraftwerke und Megastaudammprojekte, gegen Bergbaugesellschaften und den Uranabbau, gegen Kinderarbeit und die rigorose Ausbeutung im Baugewerbe oder genmodifizierte Agrarerzeugnisse.
Von diesen Protesten gehen laut IB-Einschätzung zwei Hauptgefahren aus: Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes würde jährlich um zwei bis drei Prozent gemindert und die »nationale ökonomische Sicherheit« Indiens gefährdet. Im Bericht heißt es, »identifizierte ausländische Spender vertuschen clever ihre Spenden als Fonds zum Schutz der Menschenrechte«. Sie würden zudem lokale NGO zu Feldstudien veranlassen, »die benutzt werden, um Stimmung gegen Indien zu machen und als Werkzeuge für strategische außenpolitische Interessen westlicher Regierungen zu dienen«. Etliche NGO und Verbände verwahrten sich umgehend gegen diese Vorwürfe. Die Volksunion für bürgerliche Freiheiten (PUCL) äußerte, kritische Stimmen, die die Einhaltung der in der Verfassung garantierten Grundrechte anmahnen, sollten mundtot gemacht werden. Der »ausländische Buhmann« diene dazu, Einzelne und Gruppen anzuschwärzen. Die Antiatomaktivisten bezeichneten den IB-Bericht als »motiviert«. Er basiere auf willkürlichen Anschuldigungen und ziele darauf, »Volkskämpfe zu diskreditieren.«
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juni 2014
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