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Hunderte Fischer zu Neujahr im Gefängnis

Indien und Sri Lanka haben noch immer nicht ihre Seegrenzen vereinbart

Von Hilmar König, Delhi *

Hunderte Fischer Indiens und Sri Lankas befinden sich im Gewahrsam des jeweiligen Nachbarlandes. Seit Jahrzehnten streiten beide Länder wegen Grenzüberschreitungen.

Den Jahresauftakt hätten sie sich wohl anders vorgestellt. Wegen Verletzung der Seegrenze saßen auch am Neujahrstag insgesamt mehr als 500 Fischer aus Indien und Sri Lanka in Gefängnissen des Nachbarlandes. Allein in der letzten Woche des vergangenen Jahres nahm Sri Lankas Marine 22 Fischer aus dem südindischen Bundesstaat Tamil Nadu fest und beschlagnahmte drei ihrer Boote. Die Männer fischten in der Nähe der unbewohnten, aber umstrittenen Insel Katchatheevu, die in der Mitte der Meerenge Palk Strait liegt.

Das Problem der illegal in den Gewässern des Nachbarstaates räubernden Fischer besteht seit Jahrzehnten und belastet das Verhältnis zwischen Colombo und Delhi. Es hat jetzt ein solches Ausmaß erreicht, dass Vertreter beider Seiten, darunter Gewerkschafter der Fischereiverbände, sich am 20. Januar in Chennai (früher Madras) in Indien zu klärenden Gesprächen treffen wollen.

Laut indischen Presseveröffentlichungen sitzen in Sri Lanka gegenwärtig zwischen 250 und 270 indisch-tamilische Fischer in Gewahrsam. Insgesamt, so die indische Botschaft in Colombo, gab es 2013 rund 600 solcher Festnahmen. Nach diplomatischer Intervention kamen etwa 400 wieder auf freien Fuß. Auf der anderen Seite wurden 2013 allein im Oktober und November 171 srilankische Fischer beim Wildern in indischem Territorialgewässer erwischt und festgenommen.

Politiker in Tamil Nadu ergreifen stets vehement Partei für ihre Fischer und führen als Entschuldigung drei Hauptgründe an: Sie hätten irrtümlich die Seegrenze verletzt. Sie hätten traditionell auch auf der anderen Seite gefischt, und es brauche mehr Zeit, alte Gewohnheiten abzulegen. Schließlich sei es eine Frage des Lebensunterhalts. Die meisten Boote sind jedoch mit GPS ausgerüstet, so dass Irrtümer so gut wie ausgeschlossen sind. Die »Tradition« entwickelte sich nur deshalb, weil in Sri Lanka 30 Jahre lang ein Bürgerkrieg tobte, der erst 2009 mit der Niederlage der Tamilischen Befreiungstiger endete. In dieser Zeit bestand für die Fischer im Norden Sri Lankas totales Fangverbot, und die indischen Kollegen hatten sozusagen die gesamte Palk Strait für sich. Und die Frage des Lebensunterhalts trifft auf die rund 20 000 tamilischen Fischer Sri Lankas ebenso zu.

Eine Ironie besteht darin, dass Tamil Nadu die so genannten Blutsbrüder der tamilischen Minderheit in Sri Lanka ansonsten auf vielfältige Art unterstützt und von der Regierung in Colombo energisch die Einhaltung der Menschenrechte besonders für diese ethnische Minderheit fordert. Indien baut beispielsweise in der Nordprovinz des Nachbarlandes über 50 000 Wohnungen für im Bürgerkrieg vertriebene Tamilen. Nur beim Fischereidisput zeigt sich die Chefministerin Tamil Nadus hartleibig – wohl auch aus politischen Gründen, denn bei den Parlamentswahlen im Frühjahr stellen die Fischerfamilien dieses Küstenbundesstaates eine nicht zu unterschätzende Wählergruppe dar.

Gegenüber den eigenen Leuten übt die Regierungschefin Nachsicht und sieht nur die Vergehen der Fischer Sri Lankas. Sie könnte, um die Verletzung der Seegrenze zu unterbinden, ihre Fischer mit modernem Gerät für Tiefseefischerei ausrüsten und somit deren Aktionsradius in andere Gebiete verlagern. Ähnliches gilt auch für Sri Lanka.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Januar 2014


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