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Modi verliert in Delhi

Indien: Regierungspartei abgestraft. Partei des kleinen Mannes schafft sensationellen Wahlsieg

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Mit einem so überwältigenden Resultat hatte niemand gerechnet. Alle Demoskopen hatten zwar den Sieg der Aam Aadmi Party (Partei des kleinen Mannes; AAP) bei den Wahlen des Unionsterritoriums Delhi prophezeit. Doch von einem derartig klaren, unmissverständlichen Votum gingen sie nicht aus: Die AAP bekam laut vorläufiger Stimmenauszählung vom Dienstag 67 der 70 Mandate.

Damit stoppte sie die seit Mai 2014 durch Indien schwappende Modi-Welle erst einmal. Der Aufstieg der Indischen Volkspartei (BJP) zur führenden politischen Kraft Indiens erhielt einen deutlichen Dämpfer. Delhis Wähler haben »etwas Spektakuläres geschafft«. So lautete die erste Einschätzung von Arvind Kejriwal, dem Kopf der AAP und künftigen Chefminister des Unionsterritoriums. Fast neun Millionen Bewohner der indischen Hauptstadt und der umliegenden Landkreise wählten die alternative Partei in die regionale Regierung. Die BJP folgt mit mageren drei Abgeordnetensitzen. Die Kongresspartei, die 15 Jahre Delhi regierte, ging leer aus.

Der Besen ist das offizielle AAP-Symbol. Mit ihm wollen Kejriwal und seine Mitstreiter für Ordnung sorgen und den verbreiteten Bestechlichkeit entgegen zu wirken. Vor zweieinhalb Jahren ging die AAP aus der Antikorruptionsbewegung des alten Gandhianers Anna Hazare hervor. Sie gewann bereits 2013 in Delhi 28 Mandate und führte eine Minderheitsregierung. Doch Chefminister Kejriwal wurde von der BJP und der Kongresspartei nach 49 Tagen im Amt zum Rücktritt gezwungen. Bei den Parlamentswahlen 2014 erhielt sie in Delhi kein Mandat und Kejriwal, der in Varanasi gegen Narendra Modi kandidierte, verlor mit Pauken und Trompeten.

Umso erstaunlicher ist jetzt die Auferstehung der AAP. Sie wurde nicht nur von den Armen und der unteren Mittelklasse gewählt. Stimmen bekam sie aus allen Bevölkerungsschichten, auch jenen, die bislang die BJP favorisierten. Deshalb stimmt es, wenn die »Besenpartei« von einem »Sieg des Volkes« spricht. Kejriwal sieht sich nun hohen Erwartungen gegenüber und verspricht, Delhi »mit Hilfe der Bürger zu einer Stadt zu machen, auf die Arm und Reich stolz sind«. Strom, Trinkwasser, Regulierung der Slums, Sicherheit für Frauen und Mädchen, Versorgung der Bedürftigen mit Grundnahrungsmitteln, Gesundheitsbetreuung und Bildung – der Katalog dringend anzupackender Aufgaben ist lang.

Premier Modi, der im Wahlkampf Kejriwal als Anarchisten und »Naxaliten«, einen maoistischen Rebellen, verunglimpft hatte, sicherte ihm am Dienstag »vollständige Unterstützung bei der Entwicklung Delhis« zu. Die BJP ritt bisher auf der Modi-Welle, strebte die landesweite Alleinherrschaft an und glaubte an ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit. Nach fast neunmonatigem Höhenflug, den Siegen bei den Parlamentswahlen und bei Abstimmungen in mehreren Bundesstaaten, folgte jetzt die unsanfte Landung. Nun regiert sie das Land von Neu-Delhi aus, das unter Verwaltung der Partei des kleinen Mannes steht.

Die BJP-Führung sieht das Wahlresultat nicht als Votum über die Politik der Modi-Regierung. Dennoch muss sie hinnehmen, dass Millionen Bürger in der »Besenpartei« vorerst den besseren Vertreter ihrer Interessen erkennen. Der 46jährige Kejriwal, Absolvent eines indischen Technologieinstituts, Ingenieur, Steuerbeamter, Sozialaktivist und ab 14. Februar zum zweiten Mal Delhis Chefminister, hat die BJP besiegt. Die Bürger erwarten ein Großreinemachen von ihm. Er könnte ein Beispiel für andere Bundesstaaten geben.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. Februar 2015


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