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Umerziehung für Schwule?

Minister des indischen Bundesstaats Goa löst mit der Idee von»Heilungszentren« für Homosexuelle Empörung aus

Von Hilmar König/Neu-Delhi *

Im indischen Bundesstaat Goa hat der dortige Jugend- und Sportminister, Ramesh Tawadkar, aus der Indischen Volkspartei (BJP) am Montag erklärt, Homosexuelle in besonderen Zentren »normalisieren« zu wollen. Er löste mit dieser Absichtserklärung landesweite Empörung unter Bürgerrechtlern und Gruppen von Homo- und Bisexuellen sowie Transgendern (LGBT) aus.

»Wir werden sie zu normalen Menschen machen, Zentren für sie einrichten, ähnlich denen für anonyme Alkoholiker. Wir werden sie erziehen und ihnen auch Medikamente verabreichen«, sagte der Minister über Homosexuelle. Er wolle eine detaillierte Erhebung veranlassen, so dass »ihre Probleme speziell behandelt werden können«. Harish Iyer, ein Sozialaktivist aus dem LGBT-Lager, monierte, an die Führung der regierenden BJP gerichtet: »Wenn man zu so einer unverantwortlichen Erklärung schweigt, dann stimmt man ihr tatsächlich zu.«

Der zur gleichen Zeit in Indien weilende UN-Generalsekretär Ban Ki Moon reagierte in Neu-Delhi postwendend und unmissverständlich: »Ich bin stolz, für die Gleichheit aller Menschen einzutreten, inklusive jener, die lesbisch, schwul, bisexuell und transgender sind. Ich sage das, weil Gesetze, die einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Sex zwischen Erwachsenen kriminalisieren, Grundrechte auf Privatsphäre und auf Schutz vor Diskriminierung verletzen. Selbst wenn sie nicht angewendet werden, bringen solche Gesetze Intoleranz hervor.« Homosexualität steht in Indien unter Strafe. Das entsprechende Gesetz aus dem Jahre 1861 stammt aus der britischen Kolonialzeit, wurde 2009 von einem Gericht in Delhi annulliert, doch vom Obersten Gericht des Landes 2013 wieder in Kraft gesetzt.

»Sie sollten sich in Goa auf die wirklichen Probleme konzentrieren wie Korruption, illegales Bauen, Drogenmafia und Gesetzlosigkeit«, äußerte der Modedesigner Wendell Rodricks. Anjali Gopalan, Gründerin der Naz-Stiftung, die sich als erste für eine Entkriminalisierung von Homosexualität engagierte, bezeichnete den Minister als »inkompetenten Einfaltspinsel«. Wenn jemand eine Behandlung brauche, dann Leute von seinem Schlage. Agnelo Fernandes, Sprecher der Kongresspartei in Goa, kommentierte: »Wie kann ein Minister eine derart schamlose, regressive Erklärung abgeben?« Goas Regierungschef Lakshmikant Parsekar war mit seiner Einschätzung zwar nicht so drastisch, ließ aber keinen Zweifel daran, dass sein Minister wohl aus »Ignoranz« gesprochen habe. Er korrigierte ihn so: »LGBT leiden nicht an einer Krankheit. Es gibt keine Politik meiner Regierung, sie zu ›heilen‹. Homosexualität ist eine natürliche Sache.«

Der Minister sah sich daraufhin zu einem Rückzieher gedrängt und schob den Medien die Schuld zu. Die Journalisten hätten ihn falsch zitiert und so eine Kontroverse fabriziert. Er habe lediglich Alkoholiker, Drogenabhängige und sexuell missbrauchte Jugendliche gemeint.

Die indische Gesellschaft ist weitgehend strikt konservativ, voreingenommen, zumindest reserviert und mitunter offen feindselig gegenüber dem LGBT-Lager. Der einflussreiche, der BJP nahestehende Yoga-Guru Baba Ramdev rief unlängst dazu auf, Homosexuelle in seine Einrichtungen zu schicken, wo er sie »auskurieren« könnte. Sie würden an einer Abhängigkeit leiden. Solche irrigen Bewertungen gibt es offensichtlich auch in anderen politischen Parteien. Der einstige Gesundheitsminister Ghulam Nabi Azad von der Kongresspartei hatte auf einer HIV/AIDS-Konferenz Homosexualität als »unnatürlich«, eine »Krankheit« und »nicht gut für Indien« disqualifiziert. Transgender bilden in Indien eine traditionelle Minderheit, die Hijra. Sie waren in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Zielscheibe der Hindunationalisten, deren politischer Arm die BJP ist.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 15. Januar 2015


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