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Schmelzende Reserven

Mit dem Schrumpfen der Himalaja-Gletscher droht Indien Wassermangel

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die durch die globale Erwärmung bedingte Gletscherschmelze bedroht insbesondere in den Himalaja-Anrainern Indien, China und Nepal als auch in Pakistan auf längere Sicht die Wasserversorgung. Seit 1980, so eine Studie der chinesischen Akademie der Wissenschaften, sind die Gletscher auf dem Hochland von Tibet um 8000 Quadratkilometer geschrumpft. In Indien wird dieser Tage gar die Forderung laut, ein gesondertes Ministerium für die Himalaja-Region einzurichten, aus der das Wasser für Millionen Menschen kommt.

Aktuelle Studien zur Gletscherschmelze im Himalaja-Gebirge liegen aus drei Ländern vor. Sie alle kommen, wenn auch mit etwas abweichenden Werten, zu dem Schluß, daß sich die Fläche der insgesamt rund 15000 Gletscher in den vergangenen 30 bis 40 Jahren deutlich verringert hat. Nach Berechnungen indischer Wissenschaftler schrumpfte die Fläche in 40 Jahren um 13 Prozent. Die chinesische Akademie der Wissenschaften spricht von 15 Prozent seit 1980. Die Gletscher in Nepal büßten laut Angaben des Internationalen Zentrums für integrierte Gebirgsentwicklung zwischen 1977 und 2010 rund ein Viertel ihrer Fläche ein. Für Samjwal Ratna Bajracharya, einen der Forscher des Instituts in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu, ist »das Schrumpfen definitiv in Verbindung mit dem Klimawandel zu sehen«. Die Gletscherschmelze sieht er als »enormen Indikator für steigende Temperaturen«.

Alle drei Studien bestätigen den Einfluß der globalen Erwärmung auf die abnehmende Gletschermasse. Allerdings vermeiden sie eine Wiederholung der alarmierenden Fehleinschätzung der Klimagruppe IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), die 2007 voraussagte, die Gletscher würden bis zum Jahre 2035 oder gar eher verschwinden, wenn sich die Erde weiterhin so stark erwärmt wie bisher. Diese Angabe nahm die IPCC, die kürzlich in Yokohama den Klimawandelbericht 2014 vorlegte, später als falsch zurück.

Nun unterstreichen die Wissenschaftler, daß das Schrumpfen der Eismassen in der über 2400 km weiten Gebirgskette von Gletscher zu Gletscher und von Region zu Region variiert – von ein paar Metern bis zu über 60 Metern im Jahr. Die chinesischen Forscher stellten zudem fest, daß sich die Permafrostfläche des Hochlandes von Tibet in den vergangenen drei Jahrzehnten von 1,5 Millionen auf 1,26 Millionen Quadratkilometer verringert hat. Im gleichen Zeitraum sei die Durchschnitts­temperatur auf dem Plateau um 1,8 Grad gestiegen. Seit 1990 habe sich das Gletscherschrumpfen zudem beschleunigt.

Nach der Arktis und der Antarktis sind im Himalaja die größten Eis- und Schneemassen der Erde angehäuft. Im Ursprungsgebiet der Ströme Indus, Ganges, Brahmaputra, Mekong und Dutzender andere Flüsse liegen die Wasserreserven des gesamten Subkontinents. Sie versorgen den Norden Indiens, Bangladesch, Pakistan und Südostasien mit Wasser und sind unverzichtbar für die Landwirtschaft. Die Menschen in der Region tragen jedoch auch Mitschuld am Schrumpfen der Gletscher: Offene Feuer in vielen ländlichen Haushalten, das Verbrennen von Abfällen, Kohlekraftwerke und Dieselabgase sorgen für Rußablagerungen im Gebirge und beschleunigen die Schmelze.

Klimatologen, Hydrologen und Glaziologen glauben zwar, daß vorerst mit einer Wasserverknappung nicht zu rechnen sein wird. Im Gegenteil, in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten werden die Flüsse ihren Prognosen zufolge mehr Wasser führen. »Unsere Studie beinhaltet keine Projektionen nach 2050«, erklärte der Klimaforscher Arthur Lutz dem Magazin Climate News Network. Allerdings werde es einen Punkt geben, an dem das Schmelzwasser abnimmt, weil die Gletschermasse geringer geworden ist. Dann wird das ohnehin ernste Problem der Wasserversorgung für die immer noch rapide wachsende Bevölkerung akut.

* Aus: junge Welt, Dienstag 22. Juli 2014


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