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Indiens Opposition formiert sich

Sechs politische Parteien haben ihren Zusammenschluss angekündigt, um dem Kurs der Modi-Regierung etwas entgegenzusetzen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Sechs Oppositionsparteien Indiens wollen der hindu-nationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) spätestens im Frühjahr Paroli bieten. Sie haben ihren Zusammenschluss zu einer Partei angekündigt, die eine »demokratische, sozialistische und säkulare Alternative« zum jetzigen Regierungskurs unter Premier Narendra Modi bieten soll.

Die schleichende Hinduisierung der Gesellschaft erreichte gerade einen neuen Höhepunkt, als die Staatsministerin Sadhvi Jyoti auf einer Wahlkampfveranstaltung in Delhi ausrief, die Bürger hätten sich zwischen den »Söhnen des Gottes Ram« und »Bastarden« zu entscheiden. Da sah sich selbst der Regierungschef am vergangenen Donnerstag veranlasst, seine Ministerin zu rügen, während die Opposition seitdem das Parlament blockiert und den Rücktritt Jyotis fordert.

Angesichts der gegenwärtigen übermächtigen Dominanz der BJP sehen die sechs Parteien die Notwendigkeit, eine neue Partei zu gründen. Sie soll der zersplitterten Opposition Schlagkraft verleihen. Das erklärten am Donnerstag auf ihrem zweiten Treffen in Neu-Delhi die Vertreter der Samajwadi Party (Sozialistische Partei), Janata Dal (United), Rashtriya Janata Dal, Janata Dal (Secular), Indian National Lok Dal und Samajwadi Janata Dal. An der Sitzung nahmen der frühere Premier Deve Gowda, Exminister, Parlamentsabgeordnete sowie ehemalige Chefminister teil. Sie beauftragten Mulayam Singh Yadav, den Chef der Samajwadi Party, mit der Ausarbeitung der Modalitäten des Zusammenschlusses.

Bis zur Budgetsitzung des Parlaments im Frühjahr 2015 soll die neue Partei das Licht der Welt erblickt haben. Inzwischen werden landesweit gemeinsame Kundgebungen und Treffen auf Ebene der Bundesstaaten und der Distrikte organisiert, auf denen die Gründe für diese Entscheidung erläutert werden.

Den Auftakt bildet am 22. Dezember eine Kundgebung in Neu-Delhi. Dort wollen Politiker des Sextetts, die sich in der Vergangenheit oft zerstritten haben und teilweise sogar mit der BJP in einem Boot saßen, diese Partei wegen Schwächen und Fehlern der Modi-Regierung attackieren. Nitish Kumar von der Janata Dal (United) bemängelte die große Kluft zwischen den Versprechungen der BJP während der Wahlkampagne und dem, was sie davon bislang verwirklicht hat. Beispielsweise waren den Farmern faire Preise für ihre Produkte in Aussicht gestellt worden. Davon sei die BJP inzwischen jedoch abgerückt. Millionen Jobs seien versprochen worden, doch die Arbeitslosigkeit nehme ständig zu. Modi zeige sich unfähig, auf ausländischen Banken illegal gehortetes Geld für die nationale Ökonomie nutzbar zu machen, obwohl er das vollmundig angekündigt hatte.

Alle sechs Parteien gingen aus der Janata Parivar (Volksfamilie) hervor, die in den 1980er Jahren dreimal einen Premierminister stellte und die maßgeblich für die Einführung von Quoten an staatlichen Bildungseinrichtungen für registrierte Kasten und andere benachteiligte Gruppen verantwortlich war. Modis Aufstieg und der phänomenale Sieg der BJP bei den Parlamentswahlen gaben den Anstoß, sich wieder zu einer einzigen Partei zusammenschließen zu wollen. Zumal, so Nitish Kumar, »wir alle dieselben Prinzipien und dieselbe Philosophie teilen.« Da die Kongresspartei wegen ihrer zu geringen Zahl an Parlamentsabgeordneten nicht als Hauptfraktion der Opposition auftreten darf, finden kritische Stimmen in der Volksvertretung nicht ausreichend Gehör. Auch die Linken sind zu schwach vertreten. Die Janata-Parteien mit 30 Abgeordneten im Oberhaus und 15 im Unterhaus erwarten nach ihrem Zusammenschluss, Druck machen zu können. Für sie geht es auch ums eigene Überleben, denn die Gefahr besteht, dass jede einzelne Partei von der »Modi-Welle« weggespült wird.

Auf dem Treffen in Neu-Delhi wurde erklärt, dass man zu anderen Parteien Kontakt aufnehmen wolle, nachdem die eigenen Reihen geschlossen worden sind. Bürgerliche Medien sprechen hingegen bereits von einer »Totgeburt«,noch bevor die Partei überhaupt gegründet worden ist. Sie verwiesen darauf, dass regional starke Parteien wie der Trinamool Congress in Westbengalen, die Bahujan Samaj Party in Uttar Pradesh oder die Biju Janata Dal in Orissa zwar eine ähnliche Ideologie haben, jedoch Abstand von den Janata-Parteien halten. Der erste Test für die neue Organisation wäre im Oktober oder November 2015 die Wahl zur Volksvertretung im Bundesstaat Bihar. Dort erhält die BJP gegenwärtig Zulauf, die Janata-Parteien verfügen aber traditionell über starken Anhang.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 10. Dezember 2014


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