Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Indiens Geheimdienst hat ein »neues Monster« entdeckt

Generalverdacht gegen vom Ausland unterstützte lokale Nichtregierungsorganisationen

Von Hilmar König, Delhi *

Ein vertraulicher Geheimdienstbericht sorgt für Wirbel und Ängste unter regierungsunabhängigen Organisationen in Indien.

Indiens Geheimdienst, das Intelligence Bureau (IB), hat im vorigen Monat einheimische Nichtregierungsorganisationen ins Visier genommen, die finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland erhalten. Das Innenministerium reagierte prompt und sperrte zunächst alle Überweisungen von Greenpeace International und Climate Works Foundation an die Greenpeace India Society. IB stellt die Organisationen unter Generalverdacht, im »Interesse westlicher Regierungen« zu handeln.

Der vertrauliche Geheimdienstbericht sorgte für erheblichen Wirbel unter den Tausenden im Land tätigen Organisationen und kritisch eingestellten Personen, Gruppen und Verbänden. In dem Report werden Greenpeace International, CORAID, Action Aid, Amnesty International, Survival International erwähnt, aber auch in Indien bekannte Aktivisten wie Vandana Shiva, Prashant Bhu-shan und S.P. Udayakumar. Sie alle protestieren in der einen oder anderen Form gegen Atom- und Kohlekraftwerke, gegen Megastaudammprojekte, gegen Bergbaugesellschaften, gegen Kinderarbeit, gegen die Missachtung der Lebensrechte indigener Gemeinschaften oder genmanipulierte Agrarerzeugnisse.

Von ihren Aktionen gehen laut IB-Einschätzung zwei Hauptgefahren aus: Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts würde jährlich um zwei bis drei Prozent gemindert und die »nationale ökonomische Sicherheit« Indiens würde gefährdet. Im Bericht heißt es: »Identifizierte ausländische Spender vertuschen clever ihre Spenden als Fonds zum Schutz der Menschenrechte.« Sie würden – und das ist die zweite Hauptgefahr – lokale Organisationen zu Feldstudien veranlassen, »die benutzt werden, um Stimmung gegen Indien zu machen und als Werkzeuge für strategische außenpolitische Interessen westlicher Regierungen zu dienen«. Laut einem Bericht der Zeitung »Times of India« haben indische Nichtregierungsorganisationen im Haushaltsjahr 2012/13 offiziell aus ausländischen Quellen 1,3 Milliarden Euro erhalten.

Etliche Organisationen und Verbände verwahrten sich umgehend gegen die Anschuldigungen. Die Volksunion für Bürgerliche Freiheiten (PUCL) äußerte, kritische Stimmen, die die Einhaltung der in der Verfassung garantierten Grundrechte fordern, sollten mundtot gemacht werden. Der »ausländische Buhmann« diene dazu, »Volkskämpfe zu diskreditieren«, Personen und Gruppen anzuschwärzen, die unfaire, ungerechte und nicht haltbare staatliche und korporative Projekte anprangern. Pushpa Bhargava vom Zentrum für Zell- und Molekularbiologie in Hyderabad erklärte in einem Pressebeitrag, nur das Engagement von regierungsunabhängigen Organisationen habe zu Gesetzen geführt, die das Recht auf Information, den Schutz der Pflanzenvielfalt oder die Rechte von Farmern sichern. In der Zeitung »The Hindu« schrieb Prof. Shiv Vishvanathan, mit dem IB-Report werde ein »neues Monster geschaffen: NGO gegen Entwicklung«.

Als jüngstes Beispiel dafür steht die Bewegung Narmada Bachao Andolan (NBA – Rettet die Narmada). Sie hat erneut ihre Stimme erhoben, nachdem die Regierung kürzlich beschloss, den ohnehin gigantischen Sardar-Sarovar-Staudamm in Gujarat von 122 auf 139 Meter zu erhöhen. Angeblich fußt diese Entscheidung auf einem Bericht des Ministeriums für soziale Gerechtigkeit. Darin heißt es, die Beamten seien zu 100 Prozent zufrieden mit den vorgesehenen Maßnahmen zur Umsiedlung und Entschädigung der Bevölkerung in dem Gebiet, das überflutet werden wird. Die Erfahrungen der NBA-Bewegung sehen jedoch ganz anders aus. Seit Jahren warten aus dem Stauseegebiet Vertriebene in Madhya Pradesh, Maharashtra, Gujarat und Rajasthan auf ein Stück Land, auf dem sie sich eine Existenz aufbauen können.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Juli 2014


Zurück zur Indien-Seite

Zur Indien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage