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Vom "Tea Boy" zum Regierungschef

Narendra Modi sieht sich gewappnet, um Indien zu "säubern"

Von Hilmar König, Delhi *

Montag, 26. Mai, 18 Uhr Ortszeit, Zentralparlament in Delhi: Für den 63-jährigen Narendra Modi geht ein Traum in Erfüllung. Er wird vom Präsidenten der Republik, Pranab Mukherjee, als Premier Indiens vereidigt. Damit erfährt die Karriere vom »Tea Boy«, der als Kind angeblich auf einem Bahnhof in Gujarat an der Seite seines Vaters Tee verkaufte, zum Berufspolitiker ihre Krönung.

Er sei ein Visionär, der erfolgreichste indische Chefminister, Autokrat und Diktator, Schlächter und »Krämer des Todes«, Hindu-Fundamentalist und »König der Hindu-Herzen«, Anwalt des Big Business und Hoffnungsträger der Armen, Hardliner und Spalter der Nation – Narendra Modi erscheint in vielen Inkarnationen. Seine neueste ist die des gütigen Landesvaters. Zu Wochenbeginn versicherte er, seine Regierung werde sich »den Armen widmen, den Abermillionen Jugendlichen, der Sicherheit der Mütter und Schwestern, den Menschen auf dem Lande, den Unterdrückten und Entrechteten«. Er wolle nicht herrschen, sondern »Mutter Indien« und seiner Partei dienen. »Wenn jeder Bürger einen Schritt voran macht, wären das 1,25 Milliarden Entwicklungsschritte für die Nation«, rief er unter tosendem Beifall aus. Selbst Skeptiker und Kritiker fanden kaum etwas daran auszusetzen. Freilich sind das zunächst nur Versprechungen. Gemessen wird Modi wie alle Premiers vor ihm an Taten.

Auch daran hatte er es in seiner 13-jährigen Amtszeit als Chefminister in Gujarat allerdings nicht fehlen lassen. Mit straffer Hand sorgte er für Bewässerungsprojekte, Straßen, Einkaufsmeilen, verlässliche Stromversorgung, prosperierende Landwirtschaft. »Modis Magic« lockte sowohl einheimische Großindustrielle als auch ausländisches Kapital an. So wurde das »Entwicklungsmodell Gujarat« geschaffen, mit dem Modi sich immer wieder brüstete. Kritiker wie Arvind Kejriwal von der »Partei des kleinen Mannes« wiesen auf die Schattenseiten dieses Modells hin: Kejriwal bereiste Modis »Paradies« und stieß auf miserable Schulen und Hospitäler. Er enthüllte, dass Gujarat nach dem menschlichen Entwicklungsindex nur auf Platz zehn von 21 Unionsstaaten liegt und dass bisher vor allem die städtische Mittelschicht profitierte. Modis Anhänger bewarfen den Kritiker dafür mit Tomaten, Eiern und Steinen.

Was der Spitzenkandidat der BJP in seinem Wahlkampf abzog, war bisher in Indien unbekannt. Von westlichen Experten geschulte Werbeagenten brannten ein unglaubliches, angeblich nahezu acht Milliarden Euro teures Feuerwerk ab, das sich durch alle Medien fraß. Der »König der Hindu-Herzen« bestimmte die Themen: Mal pries er sein Modell, mal ritt er aggressive Attacken gegen die Nehru-Gandhi-Dynastie, mal spielte er die Kastenkarte. Seine hindunationalistische Gefolgschaft bediente er mit sehr viel Symbolik. So zum Beispiel in Varanasi: Mutter Ganga – der heilige Fluss der Hindus – habe ihren Sohn zu sich gerufen, sagte Modi dort. Gott Shiva hat laut Legende den vom Himmel strömenden mächtigen Ganges in seinem Haarschopf aufgefangen und damit die Erde vor Zerstörung bewahrt. Die gläubige Menge verstand: Jetzt war Gangas Sohn Modi als Heilsbringer gekommen, um Indien vor der Zerstörung durch die Kongresspartei zu retten.

Auf seinem Weg aus einem kleinen Dorf in Gujarat ins Amtsgebäude South Block in Delhi hatte Modi im Hindu-Freiwilligenverband RSS von Anfang an einen starken Patron, der früh erkannte, welches Potenzial in dem Jungen steckt. Mit acht Jahren hatte er ersten Kontakt zu den paramilitärisch organisierten Hindu-Fundamentalisten und fühlte sich unter ihnen offensichtlich wohl. Mit 13 wurde er verlobt, mit 18 verheiratet. Doch bald verließ er Elternhaus und Angetraute. Im RSS fand der Vegetarier nach eigener Aussage »eine neue Familie«, seine ideologische Heimat. 1970 nahm ihn die Organisation als »Pracharak« auf, als Propagandisten. Ein Studium der Politikwissenschaften, erst in Delhi, später in Gujarat, verschaffte ihm weiteres Rüstzeug für seine Karriere. 1985 delegierte ihn der RSS zur BJP, ihrem parteipolitischen Arm. Die Partei machte ihn 1998 zum Generalsekretär für Organisationsfragen, 2001 trat er das Amt des Regierungschefs in Gujarat an.

Ein ganz düsteres Kapitel seiner Amtszeit hängt ihm allerdings bis heute als Makel an. Die Rede ist von den Massakern 2002 in Gujarat, die sich gegen die muslimische Minderheit richteten. Es gab über 1000 Tote und Zehntausende von Vertriebenen. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt und umgebracht, Häuser niedergebrannt, Geschäfte zerstört. Das alles unter den Augen des Chefministers. Dem konnte zwar keine direkte Mitschuld nachgewiesen werden, aber der Verdacht bleibt, zumal sich »NaMo« zu einer Entschuldigung nie durchringen konnte. Wie wird er die muslimische Minderheit künftig behandeln? 13 Prozent der Inder sind islamischen Glaubens. Im neuen Parlament sind sie jedoch nur mit 22 Abgeordneten (vier Prozent) vertreten, seit 50 Jahren der niedrigste Anteil.

Die Übernahme der Regierungsgewalt ist für Modi der »ultimative Test«, den zu bestehen er überzeugt ist: »Bis 2019, wenn wir Mahatma Gandhis 150. Geburtstag feiern, sollten wir das Land gesäubert haben«, sagte er am Montag und meinte das im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 24. Mai 2014


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