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Hilfe für Konzerne, nicht für Arme

Der indische Finanzminister hat den Haushaltsentwurf der neuen Regierung vorgelegt

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In einem Marathonvortrag von über zwei Stunden hat der indische Finanzminister Arun Jaitley am vergangenen Donnerstag den Haushaltsplan der neuen Regierung vor den Abgeordneten des Parlaments dargelegt. Premier Narendra Modi kommentierte, das Budget reflektiere die Absicht, »den Armen, der Neo-Mittelklasse und der Mittelklasse jedwede Hilfe zu gewähren«.

Arun Jaitley hatte nur 45 Tage Zeit, den Haushaltsplan auszuarbeiten, denn die neue Regierung der Indischen Volkspartei (BJP) ist erst seit Ende Mai im Amt. Zwangsläufig fußt deshalb der Etat auf der Hinterlassenschaft der vorigen Koalitionsregierung der Vereinten Progressiven Allianz. Expremier Manmohan Singh äußerte, diese Vorschläge hätten gut und gern auch von seinem Finanzminister unterbreitet werden können.

Der Haushaltsplan baut den 1991 eingeleiteten marktwirtschaftlichen Prozeß weiter aus. Wie der vor ein paar Tagen veröffentlichte Etat der staatlichen Eisenbahn, setzt der Entwurf auf verstärkte Investitionen aus dem Ausland sowie auf öffentlich-private Partnerschaft bei wesentlichen Entwicklungsprojekten, beispielsweise im Bereich der Infrastruktur und der verarbeitenden Industrie. Beide sind Kernpunkte, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das Bruttoinlandsprodukt soll in den nächsten drei bis vier Jahren um sieben bis acht Prozent steigen, die Agrarproduktion jährlich um vier Prozent. Auslandskapital darf sich von jetzt 26 Prozent auf künftig bis zu 49 Prozent in den lukrativen Bereichen der Versicherungsbranche und der Rüstungsindustrie engagieren.

Die Vorhaben zum Ausbau der Infrastruktur sind ambitiös: 100 moderne Städte sollen aus dem Boden gestampft werden, Tausende Slums sollen saniert, 16 neue Häfen angelegt, der Energiesektor durch Steuerbefreiung gefördert, etliche Industriekorridore geschaffen, die Einrichtung von Wirtschaftssonderzonen verstärkt fortgesetzt, das Netz der Straßen zwischen den Metropolen vollendet und die total verschmutzten Flüsse Ganges und Jamuna gesäubert werden. Bis 2019, so das Versprechen, wird jeder Haushalt eine eigene Toilette haben und die Versorgung mit Trinkwasser drastisch verbessert sein.

Die Regierung will die Ausgaben des Staates reduzieren, die Inflation bekämpfen und die Rupie stabilisieren. 13 Milliarden Dollar will sie durch den Verkauf staatlichen Eigentums einnehmen und Einsparungen durch »zielgerichtete« Subventionen bei Nahrungsmitteln und Treibstoff – das heißt Orientierung an den Weltmarktpreisen – vornehmen. Für die Armen und die »Neo-Mittelklasse«, wie die Modi-Regierung jenen Bevölkerungsteil nennt, der sich aus der Armut befreit hat, bedeutet das, tiefer in die Taschen zu greifen, um im Alltag irgendwie zu bestehen. Für die Mittelklasse, die bei den Parlamentswahlen im April und Mai massiv für die BJP stimmte, hält der Etat Geschenke parat: Autos, LED-Fernsehgeräte, Markenmodebekleidung, Computer und andere hochwertige Konsumgüter werden billiger.

Vertreter der Industrie, Immobilienhändler, Banken und Versicherungen äußerten sich zufrieden. Aman Agarwal, Direktor am Indischen Institut für Finanzen, sprach von einem ausbalancierten Budget. Es orientiere auf fiskale Konsolidierung, Wachstum, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und die Schaffung einer geeigneten Atmosphäre für Auslandsinvestitionen.

Der Kongreßpartei fehlt dagegen im Haushaltsplan eine »road map« zur Erreichung der hochgesteckten Ziele. Mamata Banerjee, Vorsitzende der Regionalpartei Trinamool Congress und Regierungschefin des Bundesstaates Westbengalen, schätzte ein: »Das Budget ist ohne Vision, ohne Mission und ohne Aktion für den gewöhnlichen Bürger.« Es trage die unmißverständliche Handschrift des Auslandskapitals. Ähnlich die Ansichten der Linken und der National Congress Party: Es handele sich um ein Budget der Unternehmen. Es enthalte nichts, was dem kleinen Mann helfen könne, mit der Last des Preisanstiegs fertig zu werden.

Bemerkenswert ist, daß bereits am Freitag drei Vertreter der deutschen Industrie- und Busineßwelt, BDI-Präsident Ulrich Grillo, Ko-Exekutivchef der Deutschen Bank Jürgen Fitschen und der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Komitees Hubert Lienhard in Neu-Delhi ihre Aufwartung bei Finanzminister Arun Jaitley machten und sich über Einzelheiten der Reformagenda informierten.

* Aus: junge Welt, Dienstag 15. Juli 2014


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