Ab in die Versenkung
Indiens Regierung ignoriert den 30. Todestag Indira Gandhis und betreibt Geschichtsfälschung
Von Hilmar König (Neu-Delhi) *
Den 30. Jahrestag der Ermordung der indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi am 31. Oktober überschatteten andere von der Regierung inszenierte Ereignisse: ein »Massenmarathon der Einheit«, Feierlichkeiten zum 139. Geburtstagsjubiläum von Sardar Vallabhbhai Patel, dem ersten Innenminister im unabhängigen Indien, sowie das Gedenken an das Massaker unter Angehörigen der Minderheit der Sikhs, das dem Tod Indira Gandhis folgte. Die Regierung der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) unter Premier Narendra Modi machte damit erneut ihre Absicht deutlich, das Erbe der Nehru-Gandhi-Familie auszulöschen und ihre eigenen Helden in den Vordergrund zu schieben.
Während Staatspräsident Pranab Mukherjee der Tradition folgte und an der Gedenkstätte Shakti Sthal in Neu-Delhi am 30. Todestag Indira Gandhis Blumen niederlegte, vermied der Premier eine solche Ehrung und verbeugte sich hingegen vor der Statue Patels, des »eisernen Mannes« Indiens, den Modi als Vorbild ansieht. Er pries Patel, der wie er aus Gujarat stammt, in höchsten Tönen als »wirklichen Architekten des modernen Indiens«, der sein Leben in den Dienst des Vaterlandes gestellt habe. Dieser sei die treibende Kraft für die Integration und Einheit des Landes gewesen, und ohne ihn wäre das Erbe Mahatma Gandhis weder vorstellbar noch vollständig. Sardar Vallabhbhai Patel hatte maßgeblich die 550 indischen Fürstentümer zu einem nationalen Ganzen vereint.
Die BJP und ihr ideologischer Mentor, der Hindufreiwilligen-Verband RSS, glorifizieren ihn und präsentieren ihn als eingefleischten Gegner des »sozialistischen« Jawaharlal Nehru. In einer Zeitschrift des RSS im Bundesstaat Kerala durfte kürzlich ein Autor Nehru verunglimpfen: Mit Mahatma Gandhi (mit dem Indira Gandhi nicht verwandt war) sei der Falsche im Januar 1948 erschossen worden. Der Mörder hätte sich Nehru vornehmen sollen, weil der Schuld habe an der Teilung der einstigen britischen Kolonie in Indien und Pakistan. Die Historikerin Mridula Mukherjee erklärte dazu in der Zeitung The Hindu: »Es ist falsch, Patel als Rivalen Nehrus darzustellen (…) Die BJP hat eine Agenda, Patel aufzubauen und gegen die Nehru-Gandhi-Familie auszuspielen. Es besteht eine deutliche politische Absicht in diesen Feierlichkeiten.«
Der 31. Oktober wird ab jetzt als »Tag der nationalen Einheit« landesweit offiziell begangen. Und auf Initiative Narendra Modis entsteht in Gujarat auf einer Insel im Narmada-Fluss ein über 180 Meter hohes Monument für Patel, dessen Gestaltung 480 Millionen Dollar kostet und das 2018 fertig sein soll. Ironischerweise war Patel ein energischer Politiker der Kongresspartei. Die BJP möchte heutzutage diese Partei von der politischen Landkarte ausradieren.
Premier Modi konnte nicht umhin, Indira Gandhi zu erwähnen. Geschickt wob er sie in sein Lob auf Patel ein, als er sagte, es sei unglücklich gewesen, dass am Geburtstag eines solchen Führers wie Patel ein Vorfall – die Ermordung Indiras durch zwei Sikh-Leibwächter – passierte, der die Einheit der Nation erschütterte. Doch in keiner seiner Reden, in denen er die historischen Größen des Landes pries, kam ihm bislang der Name Nehru über die Lippen.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. November 2014
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