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"Indiens Nachtigall" zwitschert für Modi

Die Hindu-Nationalisten der BJP gewinnen bei der Parlamentswahl zunehmend an Boden

Von Hilmar König, Delhi *

Bei der Wahl in Indien baut das Oppositionsbündnis um die Hindu-Nationalisten der Bharatiya Janata Party seinen Vorsprung aus. Laut Umfrage kann die Allianz mit 275 der 543 Parlamentssitze rechnen.

Halbzeit bei den Parlamentswahlen in Indien. Obwohl das Votum noch bis zum 12. Mai dauert, hat die hindunationalistische Indische Volkspartei BJP bereits einen Sieg errungen: die sündhaft teure Propagandaschlacht. Dabei setzt sie gezielt auf Bollywood-Superstars. Narendra Modi ist der Spitzenkandidat der BJP und zugleich der Favorit der Parlamentswahlen, bei denen 814 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben können. Nun sucht er den Schulterschluss mit Stars der Film- und Musikbranche.

So ließ sich Modi mit Lata Mangeshkar, der 84 jährigen »Nachtigall Indiens«, die mit der Stimme einer 15-Jährigen singt und schon über 900 Bollywood-Filmen den musikalischen Rahmen gab, auf der Bühne feiern. Die »Melody Queen« machte keinen Hehl aus ihrer Sympathie für Modi und rief unbekümmert auf, ihn zum künftigen Premier zu küren.

Amithab Bachchan, der 71 Jahre alte, von allen Generationen verehrte Veteran des indischen Films, ging nicht ganz so weit bei seinem Tête-à-Tête mit dem Politiker und beließ es bei ein paar freundlichen Bemerkungen. Aber in Funk und Fernsehen war wochenlang sein Werbespot präsent, der das Bundesland Gujarat als Tourismusparadies anpries. Eben hier ist Modi seit zehn Jahren Chefminister (Ministerpräsident). Er stellt Gujarat als Vorbild für ganz Indien hin und will, wenn er in Neu-Delhi demnächst das Zepter schwingt, ein ähnliches »Entwicklungswunder« für alle 1,2 Milliarden aus dem Hut zaubern.

Den jüngsten Coup landete das Public-Relations-Team der BJP vor drei Tagen mit einer arrangierten Begegnung zwischen Modi und dem südindischen Leinwandidol Rajnikanth. Dieser lobte den charismatischen Politiker als »starken Führer und fähigen Administrator«, dem er Erfolg für seine künftigen Unternehmungen wünschte. Es handelte sich dabei um einen unmissverständlichen Versuch der BJP, im Süden des Landes Fuß zu fassen, wo ihr Einfluss bislang gering ist.

Keine Partei konnte Modi und der BJP in der Selbstdarstellung bisher das Wasser reichen. Sie hämmerten der Öffentlichkeit eine »Modiwelle« ins Bewusstsein. Sie zogen alle Register – von Postern und riesigen Losungen, Werbespots in den elektronischen Medien, patriotischen Songs, in denen der Held Modi hieß, über ganzseitige Zeitungsannoncen, Plakate in den öffentlichen Verkehrsmitteln, selbst farbige Comics für die Kleinen bis hin zu Teebechern und T-Shirts mit dem Konterfei des Premiers in spe. Der penetrante Personenkult gipfelte darin, dass ihn Sympathisanten in Sprechchören zum Gott erhoben und ihn mit »Heil, heil Modi« anhimmelten. Das war selbst dem Gepriesenen zu viel, der sich auf den Wahlmeetings aber weiterhin als »Heilsbringer Indiens« präsentiert. Modis Werbestrategen nutzten alle Kanäle: 161 Millionen Fernsehhaushalte, 12 511 Tageszeitungen, 214 Millionen Internetnutzer und 900 Millionen Besitzer eines Mobiltelefons wurden mit Botschaften aus der BJP-Zentrale überschwemmt.

Das wirkt. Jedenfalls sieht die jüngste, am Montag veröffentlichte Meinungsumfrage die BJP und ihre Koalitionspartner mit insgesamt 275 Parlamentssitzen dicht vor dem Ziel, die absolute Mehrheit zu erringen. Weit abgeschlagen hingegen die Kongresspartei und die von ihr geführte Vereinte Progressive Allianz. Diese klammert sich noch an den Strohhalm, dass die BJP vor den Parlamentswahlen 2004 auch eine sogenannte Sympathiewelle erzeugt hatte. Der Wahlsieg jedoch ging damals an die Kongresspartei und ihr Bündnis. Das Lager um Sonia und Rahul Gandhi hofft auch diesmal auf ein ähnliches Wunder.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. April 2014


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