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Zuckerkrise in Südasien

Weniger Anbauflächen, mangelnde Niederschläge und Spekulation verknappen Angebot und ­treiben in Indien und Pakistan die Preise nach oben

Von Thomas Berger *

Ganesh, der elefantenköpfige Sohn des Hindu-Gottes Shiva, ist das Symbol für Weisheit, Glück und Reichtum. Dick und schwergewichtig thront er insbesondere in Südindien alljährlich im September anläßlich der zu seinen Ehren veranstalteten mehrtägigen Festivals an Straßenecken und in Wohnhäusern. Bis die bunten Pappmaché-Figuren am Ende im nächstgelegenen Gewässer landen, aus denen der Überlieferung nach die Götter stammen, werden ihnen immer wieder Gaben dargebracht. Ganesh liebt Süßigkeiten, und die sind in Indien 2009 spürbar teurer als in den Vorjahren.

Die Zuckerkrise in Südasien verschärft sich. Sowohl in Indien als auch in Pakistan sind spürbare Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung und alarmierende Preisanstiege zu verzeichnen. Der Rückgang des Anbaus von Zuckerrohr in diesem Jahr ist der wichtigste, aber nicht der einzige Grund für das Problem. Ausgerechnet in der Hochsaison wichtiger religiöser Feste in beiden Staaten kann die ausreichende Versorgung nicht überall sichergestellt werden.

Zahlreiche Fachgeschäfte landesweit sind darauf spezialisiert, die vielfältigen Köstlichkeiten herzustellen, deren Basis Zucker ist. Steigen dessen Kosten, bleibt den Produzenten nichts anderes, als den Verkaufspreis ihrer Waren zu erhöhen. In zahlreichen Geschäften hat dies schon Unmut ausgelöst. Denn besonders im Umfeld von Diwali, dem Ende Oktober anstehenden Lichterfest, wird besonders viel Süßes gekauft.

Um schätzungsweise 40 Prozent ist die indische Zuckerproduktion in diesem Jahr gesunken, besagen erste Hochrechnungen. Eine Ursache ist, daß zunächst die Aussaat anderer Kulturen höhere Profite versprach, als der Anbau von Zuckerrrohr. Insbesondere bei Getreide hatten die Bauern im Vergleich gute Preise erzielt. Hinzu kamen magere Niederschläge, in Teilen des Landes wurde von einer regelrechten Dürre gesprochen. Dies ließ den Zuckeranbau zusätzlich zurückgehen. Im Ergebnis macht das nicht nur den Süßwarenproduzenten zu schaffen. Südasiaten trinken ihren Milchtee stark gesüßt – für Millionen Angehörige der ärmsten Schichten ist dies neben der oft kärglichen einzigen Mahlzeit am Tag eine geradezu lebenswichtige Gabe von Kohlehydraten und damit Energie.

Von zuvor 25 Rupien pro Kilo (40 Cent) ist der Preis inzwischen auf 35 Rupien gestiegen. Das mag nicht viel klingen, doch gerade für die etwa 60 Millionen Allerärmsten der Milliardenbevölkerung auf dem Subkontinent macht das Zucker unerschwinglich.

Noch härter ist das benachbarte Pakistan betroffen. Lange Schlangen bilden sich dort regelmäßig vor jenen staatlichen Geschäften, die Grundnahrungsmittel zu garantierten Preisen ausgeben. Diese Läden können der Nachfrage nach Zucker längst nicht mehr nachkommen. Manche dieser speziellen Geschäfte haben die Ausgabe rationiert. Pro Person gibt es nur noch kleine Einheiten, um möglichst viele Kunden zu versorgen und zugleich zu verhindern, daß die billigeren Päckchen für mehr Geld auf dem Schwarzmarkt verhökert werden. Der reguläre Preis pro Kilo hat sich in kurzer Zeit fast verdoppelt.

Auch in Pakistan ist weniger Zucker angebaut worden; um beinahe ein Viertel ist die Produktion auf nur noch 3,2 Millionen Tonnen gefallen. Da der nationale Bedarf bei etwa 4,2 Millionen Tonnen liegt, ist die Regierung zu Zukäufen gezwungen. Finanzminister Shaukat Tarin kündigte an, daß 300000 Tonnen Roh- und 75000 Tonnen raffinierter Zucker importiert würden, um eine weitere Preisexplosion zu vermeiden. Pakistan ist Asiens drittgrößter Zuckerverbraucher und zugleich fünftgrößtes globales Anbaugebiet für Rohrzucker. Die Krise wird dadurch verschärft, daß die 80 Zuckerfabriken landesweit teilweise ihre Bestände zurückhalten. Die Branche hat politische Verbindungen bis in die Spitzenetagen von Regierung und Opposition. Zucker wird auch als politisches Druckmittel genutzt. Industrieminister Manzoor Ahmed Wattoo gab vor dem Parlament zu, daß man wegen bestimmter Lobbyinteressen Importe nicht früher habe in die Wege leiten können. Die Regierung hat inzwischen die Mehrwertsteuer auf Zucker halbiert, doch die Besitzer der Zuckerfabriken machen noch immer enorme Profite von 13 Rupien pro Kilo.

Die Krise ist indes ein Problem globalen Ausmaßes. Die International Sugar Organization (ISO) sagt voraus, daß für dieses Jahr insgesamt neun Millionen Tonnen weltweit fehlen werden. Das führt zu beachtlichen Spekulationsgewinnen. Allein die Zucker-Futures an der New Yorker Börse für Oktober-Lieferungen sind zuletzt um 22 Prozent gestiegen.

* Aus: junge Welt, 18. September 2009


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