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Banerjee beschwört Wandel

Neue Regierung Westbengalens bilanziert die ersten Monate im Amt

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Während Mamata Banerjee, die Chefminsterin des indischen Bundestaates Westbengalen, den bengalischen Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore anläßlich dessen 70. Todestages am 7. August ehrte, hat ihre Partei Trinamool Congress (TMC) eine erste Bilanz der im Frühjahr begonnenen Amtszeit gezogen.

Die von der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) angeführte Linksfront, die Westbengalen 34 Jahre lang ununterbrochen regiert hatte, wurde im Mai abgewählt. Die ihr angehörenden Parteien haben inzwischen als Hauptgründe für die Niederlage »Versäumnisse« der linken Koalitionsregierung in den letzten Jahren, die falsche Umverteilung von Agrarland für Industrieobjekte sowie »anmaßendes Verhalten, Bürokratismus und die Weigerung, Meinungen der Bevölkerung ernstzunehmen«, ausgemacht.

Indessen habe, so der TMC, der von Banerjee angekündigte Wandel bereits eingesetzt. »Wir sind eine Regierung des Volkes, die sich bemüht, ihre Versprechen einzulösen«, erklärte die Chefministerin nach gut zwei Monaten im Amt. Als erstes setzte sie in der Volksvertretung Westbengalens eine Verfügung durch, die die Rückgabe von Land an Kleinbauern sanktioniert. Die Anweisung bezieht sich auf das Gelände des einstigen Autowerkes von Tata in Singur, wo der Kleinwagen Nano hergestellt werden sollte. Frau Banerjees Partei organisierte breiten Widerstand gegen die Inbesitznahme von Bauernland für das Industrieprojekt und legte damit den Grundstein für die spätere Niederlage der Linksfront. Der Tata-Konzern zog gegen die Verfügung inzwischen vor Gericht, weshalb die Rückgabe von Land unterbrochen werden mußte.

An die maoistische Guerilla (Naxaliten), die in der Region Jangalmahal aktiv ist, appellierte die Chefministerin kürzlich, die Waffen niederzulegen und an den Verhandlungstisch zu kommen. Während der Wahlkampagne hatten die Maoisten politische Aktivitäten des TMC in den von ihnen kontrollierten Gebieten geduldet, die Linksfrontvertreter hingegen gezielt attackiert. Frau Banerjee will nun an diese Art der Kooperation anknüpfen, hat jedoch von den Maoisten bislang keine positive Antwort erhalten.

Unter der neuen Regierung kommt es immer wieder zu Übergriffen auf die Oppositionskräfte. Die Linksfront beklagt seit Wochen Gewalttätigkeiten seitens des TMC gegen ihre Kader und Sympathisanten.

Im Juli erregte die Bildung der Gor­khaland Territorial Administration im Gebiet um Darjeeling im Norden des Bundesstaates landesweit Aufsehen. Die Linksfront hatte vergeblich mit der Bewegung Gorkha Janmukti Morcha (GJM), die einen eigenen Bundesstaat gründen will, verhandelt. Mamata Banerjee gelang nun mit Hilfe massiver finanzieller Unterstützung durch die indische Zentralregierung ein erster Durchbruch. Die neue Territorialbehörde erhält finanzielle, exekutive und Verwaltungsbefugnisse. In einer Klausel des Abkommens beharrt die GJM auf ihrer Forderung, einen eigenen Unionsstaat zu bilden. Ihre Vertreter betrachten das Abkommen als Meilenstein auf dem Weg zur Selbstverwaltung. Die Chefministerin versicherte hingegen den gegen dieses Abkommen protestierenden Organisationen und Parteien: »Westbengalen wird nicht geteilt.« Darjeeling sei und bleibe das Herz des Bundesstaates. Die Würfel sind auch hier also noch längst nicht gefallen.

* Aus: junge Welt, 11. August 2011


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