Dritte Front und andere Projekte
Erste Konturen für Alternativen zu bestehenden Allianzen in Indien
Von Hilmar König, Delhi *
Etwas mehr als ein Jahr dauert es noch bis zu den nächsten Parlamentswahlen in Indien. Doch
verschiedene politische Parteien sind bereits eifrig bemüht, die Weichen für neue Allianzen zu
stellen.
In seiner Rede vor der 19. Staatenkonferenz der KPI (Marxistisch) in Kerala machte Generalsekretär
Prakash Karat dieser Tage kein Geheimnis daraus, dass er für 2009 die Bildung einer dritten Front,
einer Alternative zur Kongresspartei und zur hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP)
favorisiert.
Mit dem noch laufenden Experiment der Unterstützung der regierenden Vereinten Progressiven
Allianz von außen sind die Marxisten und ihre linken Partner nicht glücklich. Es gibt zu viele
Diskrepanzen und Abweichungen vom Gemeinsamen Minimalprogramm – angefangen beim Pro-
USA-Kurs in der Außenpolitik, wie er sich im angestrebten Nuklearpakt mit Washington äußert, bis
zur Agrar- und Wirtschaftspolitik, zur Bekämpfung der Armut und zum Umgang mit politisch und
religiös motivierten Extremisten. Ein schlimmes Beispiel dafür liefert gerade in Mumbai die
regionalfanatische Maharashtra Navnirman Sena mit einer gewalttätigen Hasskampagne gegen
»Outsider«, gegen Zuwanderer aus anderen Gegenden Indiens.
Karat erklärte in Kottayam, eine angestrebte dritte Front Front dürfe nicht ein Zweckbündnis für die
Parlamentswahlen sein, sondern müsse auf Prinzipien beruhen und Bestand haben. Sie müsse
konsequent und permanent Widerstand leisten gegen alle Kräfte, die aus eigenem Machtinteresse
Zwietracht zwischen unterschiedlichen sozialen, ethnischen und religiösen Gemeinschaften säen
wollen. Sie müsse sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm festlegen, sich einer
unabhängigen Außenpolitik verpflichtet fühlen und eine Wirtschaftspolitik betreiben, in der der
»kleine Mann« berücksichtigt wird. KPI-(M)-Veteran Jyoti Basu bekräftigte einen Tag später diese
Absicht, auch wenn er hinzufügte, man stehe erst ganz am Anfang eines solchen Projekts.
In Frage für eine derartige Alternative kommt außer den anderen linken Parteien die im vorigen Jahr
gebildete Vereinte Nationale Progressive Allianz (UNPA), der politische Schwergewichte wie die
Samajwadi-Partei und die Telugu- Desam-Partei angehören. Die Signale aus dieser Richtung an die
Linken sind unmissverständlich. Erst zu Wochenbeginn betonten UNPA-Führer auf einem Meeting
im Unionsstaat Haryana die Interessenübereinstimmung mit den Linken in Agrarfragen. Am 26.
Februar organisiert die UNPA vor dem Parlament in Delhi ein Massenmeeting von Farmern aus
Protest gegen die Landwirtschaftspolitik. Daran werden sich die Linken beteiligen. »Wir kämpfen in
dieser Frage Hand in Hand mit den linken Partnern«, kündigte Samajwadi-Führer Mulayam Singh
Yadav an.
Partner der dritten Front könnten auch Parteien sein, die derzeit in der regierenden Vereinten
Progressiven Allianz mitwirken, aber mit deren Kurs unzufrieden sind.
Auf der anderen Seite versucht die BJP, die von ihr geschaffene Nationale Demokratische Allianz
(NDA), mit der sie bereits regierte, zu verstärken. Bester Anwärter ist die südindische Regionalpartei
AIADMK, die von der kapriziösen Frau Jayalalithaa geführt wird. Mit ihr hat die BJP zwar schon
manche unerfreuliche Überraschung erlebt, aber sie könnte ausschlaggebend für die Bildung einer
NDA-Regierung 2009 werden. Eine andere unberechenbare »Partnerin« ist Mamata Banerjee, die in
Westbengalen den Trinamool Congress leitet. Noch hat sie sich nicht eindeutig von der BJP
abgenabelt, doch alle Zeichen sprechen dafür, denn sie hat kürzlich ihre eigene Progressive
Säkulare und Demokratische Front gebildet, der 17 Parteien und Organisationen angehören. Diese
Front wird bei den Gemeinderatswahlen im Mai in Westbengalen weder ein Bündnis mit der
Kongresspartei noch mit der BJP eingehen. Während Frau Banerjee die KPI(M) als Hauptfeind
behandelt, buhlt sie zugleich um Verbündete in der Linksfront. Sie kämpfe gar nicht gegen linke
Politik, behauptete sie Mitte der Woche, und wäre bereit, mit jeder linken Partei (vor allem den
Vorwärtsblock hat sie im Auge) zu sprechen – außer natürlich der starken KPI (M).
Die Kongresspartei hält sich bezüglich ihrer künftigen Bündnispartner noch bedeckt und konzentriert
sich darauf, den letzten Abschnitt der Regierungszeit mit Leistungen über die Bühne zu bringen, mit
denen sie »automatisch« zum Favoriten für die Wahlen 2009 werden würde. Mit großer Spannung
wird deshalb die Präsentation des Staatshaushalts am Monatsende erwartet.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2008
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