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"Israel im Herzen, Indien im Blut"

Mumbais jüdische Gemeinde nach dem Terrorschlag am 26. November

Von Hilmar König, Delhi *

Die Aufklärung von Hintergründen und die Ermittlung von Hintermännern der Tragödie von Mumbai ist in vollem Gange. Zwischen Pakistan und Indien tobt über die Urheberschaft ein »Medienkrieg«. Kein Zweifel besteht jedoch mehr daran, dass die Terroristen das jüdische Zentrum in Mumbai mit Bedacht gestürmt und dort sechs Menschen ermordet haben.

Die indischen Behörden tragen weiter alle Details der Attacke zusammen und wollen irgendwann »unwiderlegbare Beweise« für die Täterschaft pakistanischer Gruppen veröffentlichen, die vom Militär und dessen Geheimdienst ISI gesteuert werden. Im Fadenkreuz der Ermittler steht die Gruppe Lashkar-e-Taiba, die nach offiziellem pakistanischen Verbot im Jahre 2003 in den Mantel einer islamischen »Wohltätigkeitsorganisation« schlüpfte. Pakistans Regierung, die Medien und der Sicherheitsapparat haben vehement jegliche Verwicklung in die Mumbai-Operation verneint. Der einzige überlebende Terrorist, Mohammed Ajmal Amir Iman, der nach eigenen Aussagen aus dem pakistanischen Dorf Faridkot in der Provinz Punjab stammt, sei kein Pakistaner, er könne höchstens ein »staatenloser Akteur« sein, gab Präsident Asif Ali Zardari kund. Auf beiden Seiten räumen die Medien chauvinistischen Elementen beträchtlichen Raum ein, die gedanken- und verantwortungslos ihr Kriegsgeschrei verbreiten und das ohnehin komplizierte Verhältnis zwischen beiden Nachbarn weiter zuspitzen.

Vor diesem Hintergrund erhielt das israelische Konsulat in Mumbai laut »The Hindu« am Wochenende einen Anruf, angeblich aus der pakistanischen Hafenstadt Karatschi. Darin wurde vor einem bevorstehenden weiteren Terroranschlag in Bangalore gewarnt. In den nächsten Tagen soll in der südindischen IT-Metropole offiziell ein Chabad-Haus eröffnet werden. Zur Erinnerung: Das Chabad-Haus in Mumbai, in den Medien auch mit dem alten Namen Nariman-Haus bezeichnet, war am 26. November eines der Ziele der Terroristen. Sie stürmten das jüdische Zentrum, ermordeten den 29 Jahre alten Rabbi Gavriel Holtzberg und seine schwangere Ehefrau Rivka sowie vier weitere Bewohner, einer davon ein aus Mexiko stammender Jude, die anderen Israelis oder Bürger mit doppelter, israelischer und US-amerikanischer, Staatsbürgerschaft. Der zweijährige Moshe, Sohn der Holtzbergs, wurde dank des Mutes und der Geistesgegenwart seiner indischen Betreuerin Sandra Samuel gerettet.

Der aus Brooklyn stammende Rabbi Holtzberg gehörte der orthodoxen, einst im zaristischen Russland gegründeten Sekte Chabad Lubavitch an, die weltweit »das Licht der Torah« und »Jiddischkeit« verbreiten und den religiösen Aspekt jüdischer Identität als »Vorbereitung auf die Ära des Messias« stärken will. Die Bewegung soll in allen Teilen der Welt etwa 900 Chabad-Häuser unterhalten. Das in Mumbai war vor zwei Jahren von einem ukrainischen Juden gekauft und der Sekte geschenkt worden. Zuvor gehörte es als Nariman-Haus einem Angehörigen der Parsen- Minderheit.

Rabbi Holtzberg war nicht nur unter den etwa 3500 indischen Juden in Mumbai, sondern generell wegen seiner Güte und Herzlichkeit beliebt. Ein australischer Freund bezeichnete ihn als »faktischen Chef-Rabbi Indiens«, unter den Mumbaiern galt er als »Guru Maharaj ji« der Juden. Sein Einfluss in der Öffentlichkeit war in den vergangenen fünf Jahren zusehends gewachsen. Er engagierte sich für die Einrichtung ähnlicher Zentren auch im nördlichen Manali, in der Siedlung Anjuna in Goa und demnächst auch in Bangalore. Die kleine Gemeinde in Kochi im Unionsstaat Kerala ist gleichfalls interessiert an einem solchen Chabad-Haus, in dem Gottesdienste abgehalten werden, jüdisches Gedankengut gelehrt, koscheres Essen serviert und Unterkunft gewährt wird. Auch kulturelle Veranstaltungen finden dort statt.

Angeblich hat der verhaftete Terrorist Mohammed Ajmal Amir Iman ausgesagt, der Angriff auf Mumbais Chabad-Haus sei eine »Revanche für israelische Verbrechen an den Palästinensern« gewesen. Israels Außenministerin Zipi Livni sah »keinen Zweifel, dass die Terroristen jüdische, israelische und solche Ziele ausgewählt haben, die mit dem Westen, mit Amerikanern und Briten identifiziert werden«. Premier Ehud Olmert sagte: »Der Hass auf Juden, auf den Staat Israel und auf jüdische Symbole ist noch immer ein Faktor, der zu solchen mörderischen Handlungen ermutigt.«

Indiens jüdische Minderheit zählt höchstens noch 5000 Mitglieder, überwiegend im öffentlichen Dienst, in Kunst und Filmin-dstrie, Gesundheits- und Ingenieurwesen, Justiz oder und im eigenen Geschäft tätig. Etwa 85 Prozent davon leben in Mumbai. Als »Bene Israelis«, Nachfahren jüdischer Familien, die einst mit ihrem Schiff vor Bombay gestrandet sein sollen, blicken sie auf eine angeblich 2100 Jahre alte Geschichte in Indien zurück. Eine andere Gruppe, die »Baghdadi-Juden«, kam im frühen 19. Jahrhundert aus Irak. In den vergangenen sechs Jahrzehnten emigrierten 60 000 indische Juden nach Israel. Dazu meint Rabbi Ezekiel Isaac Malekar, der Chef der kleinen jüdischen Gemeinde von Delhi: »Israel ist in unseren Herzen. Indien ist in unserem Blut.«

Durchschnittlich 40 000 israelische Touristen kommen jährlich nach Indien, darunter viele junge Leute, die gerade ihren Militärdienst abgeleistet haben, und eine wachsende Zahl derer, die sich von »indischer Spiritualität« angezogen fühlen. Oft dienen ihnen die Chabad-Häuser als Anlauf- und Treffpunkt. Deshalb äußerte Shimon Rosenberg, der Vater der ermordeten Rivka, bei der Trauerfeier in Mumbai: »Das Chabad-Haus wird wieder aufgebaut und mit Leben erfüllt.«

* Aus: Neues Deutschland, 10. Dezember 2008

Pakistan nimmt Verdächtige fest

Rebellengruppe soll hinter den Anschlägen in Mumbai stecken **

Pakistanische Sicherheitskräfte haben am Montag (8. Dez.) 16 Verdächtige der radi-kalislamischen Rebellengruppe Lashkar-e-Taiba festgenommen, die in die Ende November verübte Anschlagserie in Mumbai verwickelt sein sollen.

Nach wachsendem Druck aus den USA haben Sicherheitskräfte in Pakistan in Zusammenhang mit den Mumbai-Anschlägen, bei denen Ende November 163 Zivilisten und Sicherheitskräfte sowie neun Attentäter getötet wurden, 16 Verdächtige festgenommen, darunter einen Rebellenchef von Lashkar-e-Taiba. Fast alle Festnahmen erfolgten bei einer Razzia bei der Organisation Jamaat-ud-Dawa, die Lashkar-e-Taiba nahesteht, wie ein Geheimdienstmitarbeiter am Montag (8. Dez.) sagte. Die Regierung wollte die Festnahmen zunächst weder bestätigen noch dementieren.

Der Zugriff auf 15 Verdächtige erfolgte bei einer Razzia am Sonntagabend (7. Dez.) in einer Einrichtung von Jamaat-ud-Dawa am Rande von Muzaffarabad, der Hauptstadt des pakistanischen Teils von Kaschmir. Unter den Festgenommenen sei auch Zaki-ur-Rehman Lakhvi, ein ranghoher Anführer von Lashkar-e-Taiba. Die Organisation wird von Indien hinter der verheerenden Anschlagsserie von Mumbai vermutet. Außerdem wurde außerhalb der pakistanischen Stadt Rawalpindi ein weiterer mutmaßlicher Lashkar-e-Taiba-Rebelle in einem Fahrzeug abgefangen.

Die Hilfsorganisation Jamaat-ud-Dawa wird vom Lashkar-e-Taiba-Gründer Hafiz Saeed geleitet. Dieser hatte Lashkar-e-Taiba 1989 gegründet, die Organisation aber verlassen, nachdem sie verboten wurde. Das Verbot erfolgte seinerzeit, weil Indien Lashkar-e-Taiba beschuldigte, hinter dem Anschlag auf das Parlament in Neu Delhi im Jahr 2001 zu stecken. Saeed kritisierte die Festnahmen. »Die Regierung zeigt ihre Schwäche, wenn sie Organisationen in Kaschmir ins Visier nimmt«, sagte er.

Lashkar-e-Taiba wurde ursprünglich zum Kampf gegen die indische Herrschaft in Kaschmir gegründet. In der Vergangenheit bestanden Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst und zum Terrornetzwerk El Kaida. Lashkar-e-Taiba – übersetzt etwa »Armee der Frommen« – steht auf der US-Liste terrorverdächtiger Organisationen und ist in einer Reihe westlicher Staaten verboten. Die »New York Times« berichtete am Montag, US-Terrorabwehr und Armeevertreter gingen davon aus, dass von der Organisation mehr Gefahr drohe als bislang angenommen. Lashkar-e-Taiba habe in den vergangenen Jahren mit Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes an Macht gewonnen. Dieser habe den Rebellen erlaubt, zu trainieren und Geld zu sammeln.

Derweil haben im Nordwesten Pakistans Aufständische zum dritten Mal binnen einer Woche Lastwagen mit Nachschub für die internationalen Truppen in Afghanistan zerstört. Die Angreifer seien am Montag in ein Depot in der Stadt Peshawar eingedrungen und hätten fast 100 der dort geparkten Lastwagen zusammen mit ihrem Ladegut in Brand gesetzt, sagte ein Polizeioffizier. Erst am Sonntag (7. Dez.) hatten mehr als 300 Taliban-Kämpfer fast 150 Lastwagen für die internationalen Truppen zerstört und einen Wachmann getötet.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2008




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