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"Terrormodul" schlug zu

Sprengstoffattentat in Neu-Delhi kostete mindestens neun Menschen das Leben

Von Hilmar König *

Die indische Hauptstadt ist am Mittwoch erneut von einem Anschlag getroffen worden. Vor dem Gerichtsgebäude in Neu-Delhi explodierte am Vormittag ein Sprengsatz. Dabei wurden mindestens neun Menschen getötet und 47 verletzt. Innenminister Palaniappan Chidambaram, der am Mittag den Ort des blutigen Geschehens inspizierte, machte ein noch nicht identifiziertes »Terrormodul« für den Anschlag verantwortlich.

Am Mittwoch geht es im Gericht der indischen Hauptstadt regelmäßig besonders geschäftig zu, weil die Bürger an diesem Tag öffentliche Beschwerden einreichen können. Vor dem Tor Nummer 5 des Gebäudes im Stadtzentrum hatte sich deshalb wie in jeder Woche eine Schlange aus etwa 200 Leuten gebildet, die sich am Empfangsschalter registrieren lassen wollten. Da explodierte die angeblich in einer Aktentasche versteckte Bombe und löste Panik aus. Bereits im Mai war hier ein ähnliches Attentat verübt worden, allerdings ohne Schaden anzurichten.

Die Nationale Ermittlungsagentur und die Nationale Sicherheitsgarde nahmen unmittelbar nach dem Attentat ihre Arbeit auf, um die indische Polizei bei den Untersuchungen zu unterstützen. Die zu dieser Zeit versammelten Abgeordneten des Parlaments verurteilten einmütig den Terrorschlag. Premier Manmohan Singh, der sich zu einem offiziellen Besuch im Nachbarland Bangladesch aufhält, sagte in Dhaka, es habe sich um eine feige Attacke gehandelt. »Es ist ein langer Krieg. Alle politischen Parteien sollten gemeinsam diese Geißel vernichten.« Auch die Asiatische Menschenrechtskommission erklärte in einer ersten Stellungnahme, sie vertraue auf die Fähigkeit der Führung und Verwaltung Indiens, dieser Herausforderung mit dem Professionalismus zu begegnen, der einer solchen Demokratie angemessen ist. Die Kommission sei sicher, daß die Führung des Landes und die politischen Parteien gewährleisten, »daß die Minderheiten in Indien nicht emotionalen Ausbrüchen und falschen nationalistischen Gefühlen, die dieser Vorfall ausgelöst haben mag, ausgesetzt werden«.

Der Anschlag ereignete sich zu einem Zeitpunkt, da die Regierung der Vereinten Progressiven Allianz wegen zahlreicher Bestechungsaffären ohnehin schwer unter Druck steht und der von dem Sozialaktivisten Anna Hazare geführten Bewegung »Indien gegen Korruption« Zugeständnisse beim Verfassen eines Antikorruptionsgesetzes machen mußte. Die Opposition beschuldigt die Regierungskoalition seit langem auch, im Kampf gegen terroristische Aktivitäten »zu lasch« zu sein. So warf der Sprecher der rechten Indischen Volkspartei (BJP), Ravi Shankar Prasad, der Regierung am Mittwoch nicht überraschend »Sicherheitsschwächen« vor. Aber auch von links kam Kritik. Dorasamy Raja von der Führung der Kommunistischen Partei Indiens verlangte zu prüfen, ob der Sicherheitsapparat oder die Politik versagt habe. »Ich glaube, es handelt sich um einen Fehler des Innenministeriums«, äußerte er.

In der Hauptstadt, in Mumbai und anderen Metropolen des Landes wurde wie immer nach solchen Anschlägen die höchste Alarmstufe ausgelöst. Man verstärkte zugleich die Sicherheitspräsenz an allen strategisch wichtigen Punkten. Die indische Hauptstadt hat mit derartigen Situationen traurige Erfahrung. Am 13. September 2008 hatten an drei verschiedenen Einkaufsplätzen gezündete Bomben insgesamt 25 Menschen getötet. Einem Anschlag im April 2006 auf die Jama-Moschee in der Altstadt fielen 14 Menschen zum Opfer. Und im Oktober 2005 kamen bei Sprengstoffexplosionen auf zwei Märkten und in einem Bus 59 Bürger ums Leben.

* Aus: junge Welt, 8. September 2011


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