Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Noch keine Spur

Unterwelt oder Islamisten? Ermittlungen zu jüngsten Terroranschlägen in Mumbai bisher erfolglos

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Teams verschiedener indischer Sicherheitsagenturen arbeiten in Mumbai fieberhaft daran, die drei Sprengstoffanschläge vom Mittwoch vergangener Woche aufzuklären, bei denen 19 Menschen ums Leben kamen und 133 verletzt wurden. Es handelte sich um einen der schwersten Terrorschläge in der indischen Geschäfts- und Finanzmetropole seit 1993. Innenminister Palaniappan Chidambaram erklärte, daß noch keine »spezifische Spur« gefunden wurde. Jede »indien-feindliche Gruppierung« sei verdächtig und komme unter den geheimdienstlichen Scanner. Er deutete an, die Anschläge könnten eine Vergeltung für die vor einigen Tagen erfolgte Festnahme von zwei Mitgliedern der Terrorgruppe »Indian Mujahideen« und von 17 Kadern der illegalen militanten KP Indiens (Maoistisch) sein.

Der Minister schloß auch nicht aus, daß mit den »koordinierten Terrorakten« die auf Entspannung zielenden indo-pakistanischen Gespräche torpediert werden sollten. Diese waren in jüngster Zeit relativ reibungslos verlaufen. »Wir leben in unruhiger Nachbarschaft. Pakistan und Afghanistan sind die Epizentren des Terrorismus«, sagte Chidambaram, ohne weiter ins Detail zu gehen. In den nächsten Tagen stehen Verhandlungen zwischen den Außenministern der beiden traditionellen »Erzfeinde« an. Diese sollen auch planmäßig stattfinden, verlautete aus Neu-Delhi. Die oppositionelle rechte Indische Volkspartei (BJP) sieht hingegen keine Veranlassung, überhaupt mit Pakistan zu reden, auch wenn der Nachbar diesmal nicht involviert sein sollte.

Ein Mumbaier Polizeibeamter äußerte unterdessen, die »Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen« sei in vollem Gange, Hunderte Informanten mit Kontakten zur Unterwelt wie zu Terroristenkreisen seien bereits befragt worden. Man werte zudem eine Fülle von Material aus Überwachungskameras aus. Die Spurensicherung an den drei Tatorten wurde durch heftigen Monsunregen beträchtlich erschwert. Viel Fingerspitzengefühl scheinen die Behörden bei den Verhören jedoch nicht an den Tag zu legen. Am Sonntag verstarb ein junger Inder an Gehirnblutungen, nachdem die Polizei ihn vernommen hatte.

Auch wenn offiziell in alle Richtungen ermittelt wird, geht ein Großteil der Medien davon aus, daß »Hauptverdächtige« aus der Indian Mujahideen kämen. Diese arbeite demnach mit einer pakistanischen Terrorgruppe namens »Lashkar-e-Toiba« zusammen. Sie wird für die verheerenden Anschläge vom November 2008 in Mumbai verantwortlich gemacht, bei denen 166 Menschen getötet wurden. Ein wesentlicher Teil ihrer Infrastruktur war danach vom indischen Sicherheitsapparat zerschlagen worden, wenngleich die Führungskader entkamen, vermutlich ins pakistanische Karatschi und in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu. Seit 2010 ist die Gruppe wieder aktiv.

Eine andere Spur führt in die Unterwelt Mumbais, die Verbindungen zur Drogen- und Waffenmafia, zum Menschenhandel, sogar bis in die Filmindustrie Bollywoods und politische Kreise pflegt. Ein prominenter Journalist, dessen Spezialgebiet das organisierte Verbrechen war, wurde kürzlich in Mumbai auf offener Straße ermordet. Danach sah sich die Polizei veranlaßt, den Gangstersyndikaten auf den Pelz zu rücken. Die Terrorschläge könnten also durchaus auch eine Warnung aus der Unterwelt sein.

Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal. Bereits 1993 hatte Unterweltboß Dawood Ibrahim, der heute in Pakistan leben soll, gemeinsam mit islamistischen Extremisten eine Serie von Sprengstoffanschlägen an 13 verschiedenen Stellen in der Stadt organisiert. 257 Tote und 713 Verletzte fielen den Anschlägen zum Opfer. Dem folgten sechs Terrorakte. Im Jahre 2006 kamen bei Bombenexplosionen in Nahverkehrszügen der Millionenstadt 186 Menschen ums Leben und weitere 166 2008. Nach offiziellen Statistiken sind seit 2005 fast 400 Mumbaier durch Terrorakte getötet und über 1300 verletzt wurden.

* Aus: junge Welt, 18. Juli 2011


Zurück zur Indien-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zurück zur Homepage