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In geheimer Mission

Neue Enthüllungen über den US-Agenten David Headley im Zusammenhang mit den Terrorangriffen in Mumbai

Von Knut Mellenthin *

Die Enthüllungen über den US-Agenten David Headley gehen weiter. Am Wochenende (7. Nov.) war es die New York Times, die bisher nicht öffentlich bekannte Einzelheiten berichtete. Headley, ein V-Mann der Drogenbehörde DEA, hatte zwei Jahre lang potentielle Ziele für die Terrorangriffe im indischen Mumbai ausgekundschaftet, bei denen im November 2008 etwa 170 Menschen getötet wurden. Mindestens fünf Personen hatten zwischen 2001 und 2008 unabhängig voneinander versucht, US-amerikanische Dienststellen auf Headleys intensive Beziehungen zu militanten pakistanischen Islamisten aufmerksam zu machen. In allen Fällen wurden die Ermittlungen folgenlos eingestellt. Erst im Oktober 2009 wurde Headley in Chicago verhaftet.

Dem jüngsten Bericht der New York Times zufolge wurde Headley im November 2001, kurz nach den Angriffen vom 11. September, von der US-Administration mit einem Sonderauftrag nach Pakistan geschickt. Der Zweck und Inhalt dieser Mission wird immer noch geheimgehalten. Einen Monat vorher, am 4. Oktober 2001, hatte sich eine frühere Freundin Headleys bei den Ermittlungsbehörden gemeldet und von seinen Erzählungen berichtet, daß er gern in Pakistan für die Islamisten kämpfen würde. Headley arbeitete zu dieser Zeit bereits als Informant der DEA, die ihn 1997 als Heroinhändler festgenommen hatte. Wegen seiner »Kooperation« war er mit einer 15monatigen Haftstrafe davongekommen.

Weil Headley im Herbst 2001 noch unter Bewährungsaufsicht stand, mußte diese zunächst aufgehoben werden, um die Mission in Pakistan zu ermöglichen. Eine entsprechende, sehr kurze und offenbar rein formale Gerichtssitzung fand am 16. November 2001 statt. Dazu schreibt die New York Times: »Die Mitschrift der Bewährungsverhandlung zeigt, daß die Regierung sehr darum bemüht war, nicht zu offenbaren, von welcher Behörde Headley geführt wurde oder ob er für mehr als nur eine arbeitete.«

Headley reiste im Dezember 2001 nach Pakistan ab. Im selben Monat setzte die US-Regierung die militant islamistische Laschkar-e-Taiba (LeT) auf die Liste der Terrororganisationen. Sobald Headley in Pakistan angekommen war, nahm er Kontakt zur LeT auf. Zwei Monate später, im Februar 2002, befand er sich schon in einem ihrer Ausbildungslager. Bis 2005 nahm er an mindestens vier militärischen Kursen der LeT teil.

Die Drogenbehörde DEA weigert sich bisher, Auskunft über ihre Beziehungen zu Headley zu geben. Insbesondere verschweigt sie, von wann bis wann er für sie in welcher Funktion und mit welchen Aufträgen gearbeitet hat. Unbekannt ist auch, aus welchen Gründen die Zusammenarbeit endete. Was die geheime Mission angeht, zu der Headley nach dem 11. September 2001 nach Pakistan geschickt wurde, zitiert die New York Times eine bemerkenswerte Aussage seines damaligen Bewährungshelfers: »Alles, was ich weiß, ist, daß die DEA ihn so schnell wie möglich in Pakistan haben wollte. Sie sagten, sie seien nahe daran, ein paar große Sachen zu machen.«

Seit 2006 reiste Headley viele Male in verschiedene indische Städte, um Angriffsziele auszukundschaften und zu filmen. Zuvor ließ der hellhäutige Sohn eines pakistanischen Vaters und einer US-amerikanischen Mutter am 15. Februar 2006 in Philadelphia seinen Namen amerikanisieren. Bis dahin hieß er Daood Gilani. Der kleine Kunstgriff erleichterte dem V-Mann die häufigen Reisen nach Indien und die Tarnung seiner dortigen Aufenthalte beträchtlich. Zum Zeitpunkt der Namensänderung hatten bereits drei Personen, darunter seine ehemalige amerikanische Ehefrau, die US-Behörden vergeblich auf Gilanis enge Beziehungen zur LeT aufmerksam gemacht.

* Aus: junge Welt, 10. November 2010


Hinweise ignoriert

US-Agent spähte Angriffsziele im indischen Mumbai aus. Washingtons Behörden zeigten wenig Interesse, entsprechenden Zeugenaussagen nachzugehen

Von Knut Mellenthin **


Im Fall des in die Terrorangriffe von Mumbai vor zwei Jahren verwickelten – und inzwischen inhaftierten – US-Agenten David Headley gibt es neue Erkenntnisse: Nicht nur zwei, sondern sogar fünf Personen hatten unabhängig voneinander vergeblich versucht, amerikanische Dienststellen auf Headleys Beziehungen zu militanten pakistanischen Islamisten aufmerksam zu machen. Mindestens zehn bewaffnete Männer hatten zwischen dem 26. und dem 29. November 2008 bei Attacken gegen einen zentralen Bahnhof, mehrere Hotels und ein jüdisches Zentrum in der indischen Stadt etwa 170 Menschen getötet.

Headley, der als V-Mann für die US-Drogenbehörde und möglicherweise auch für die CIA arbeitete, hatte seit 2006 die Angriffsziele ausgekundschaftet und gefilmt. Mitte Oktober 2010 berichteten die Washington Post und die New York Times, daß sich zwei ehemalige Ehefrauen Headleys zuvor mit Informationen an die US-Behörden gewandt hatten. Zunächst hatte sich eine US-Amerikanerin im August 2005 bei der New Yorker Joint Terrorism Task Force gemeldet, um über Headleys enge Verbindungen zur Organisation Laschkar-I-Taiba und seine Aufenthalte in Ausbildungslagern pakistanischer Islamisten zu berichten. Angeblich bot sie der Dienststelle sogar Zugang zu seinen diesbezüglichen E-Mails an, woran diese aber nicht interessiert gewesen sei. Nach drei Gesprächen mit der Frau wurden die Ermittlungen eingestellt.

Ähnlich erging es einer mit Headley verheirateten Marokkanerin, die im Dezember 2007 bei der US-Botschaft in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad vorsprach. Auch ein zweiter Versuch der Frau, im April 2008 auf Headleys Aktivitäten aufmerksam zu machen, wurde ignoriert. Am Wochenende meldete die Washington Post, daß es außerdem noch drei weitere Informanten gegeben hatte. Die Recherchen stammen von dem investigativen Journalistenpool ProPublica. Dessen Quelle ist unter anderem ein nicht veröffentlichter Untersuchungsbericht, den der Koordinator der US-Geheimdienste nach den Enthüllungen im Oktober in Auftrag gegeben hatte.

ProPublica zufolge hatte sich erstmals schon am 4. Oktober 2001 eine frühere Freundin Headleys bei der Joint Terrorism Task Force gemeldet und von Erzählungen Headleys berichtet, daß er gern in Pakistan kämpfen würde. Die Behörde sprach mit drei Zeugen und stellte dann die Ermittlungen ein. Die nächste Information ging im Juli 2002 bei der Bundespolizei FBI in Philadelphia ein. Ein Ladeninhaber, bei dem Headleys Mutter regelmäßig Kundin war, berichtete, was ihr Sohn ihr über sein Waffentraining in pakistanischen Ausbildungslagern erzählt hatte. Nach eigener Aussage hörte der Mann nie wieder etwas vom FBI. Der dritte bisher nicht öffentlich bekannte Hinweis erfolgte am 1. Dezember 2008, also kurz nach den Angriffen in Mumbai. Eine Freundin von Headleys elf Monate zuvor verstorbener Mutter teilte dem FBI mit, daß Headley nach eigenen Angaben fünf bis sechs Jahre lang am bewaffneten Kampf in Pakistan teilgenommen habe.

Headley wurde erst im Oktober 2009 in Chicago verhaftet – aufgrund von Informationen der britischen Behörden, die die USA offenbar nicht mehr ignorieren konnten.

** Aus: junge Welt, 10. November 2010


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