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Generalstreik für Telangana

Indien: Einwohner der ärmsten Region von Andhra Pradesh wollen einen eigenen Bundesstaat

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

In dem südostindischen Bundesstaat Andhra Pradesh schlagen die Wogen hoch, und die Ausläufer sind selbst in der fernen Hauptstadt Neu-Delhi zu spüren. Seit Tagen lähmt ein Generalstreik mit Straßenblockaden das öffentliche Leben in dem knapp 85 Millionen Einwohner zählenden Bundesstaat. Ziel ist die Anerkennung der Telangana-Region im Nordwesten von Andhra Pradesh als eigener Bundesstaat. Die Region macht mit 114840 Quadratkilometern mehr als ein Drittel des Territoriums von Andhra Pradesh aus und wird von 35 Millionen Menschen bewohnt. Sie verfügt über 20 Prozent der indischen Kohlevorkommen sowie über 45 Prozent der Waldgebiete des Bundesstaates. Aber Telangana gilt auch mit neun von 13 offiziell registrierten rückständigen Distrikten als das »Armenhaus« des Bundesstaates. Diese Diskrepanz glauben die Telangana-Befürworter mit der Bildung eines eigenen Bundesstaates und der damit verbundenen verstärkten Finanzhilfe durch die Zentralregierung in Neu-Delhi beseitigen zu können. Schon zu Kolonialzeiten erlebte Telangana Aufstände, so die bis 1951 dauernde und von der Kommunistischen Partei Indiens unterstützte Bauernrevolte gegen das feudalistische Ausbeutersystem der Großgrundbesitzer.

Um der Forderung nach einer Eigenständigkeit der Region Nachdruck zu verleihen, haben in dieser Woche 100 Abgeordnete des Regionalparlaments von Andhra Pradesh quer durch alle politischen Parteien – die vier Parlamentarier der KP Indiens inklusive – sowie 14 Abgeordnete des Zentralparlaments ihre Mandate niedergelegt. Zwölf Minister des Bundesstaates sind ebenfalls zurückgetreten.

Bis Mittwoch (6. Juli) weilte eine Delegation von Politikern aus Andhra Pradesh in Neu-Delhi. Sie konferierte mit verschiedenen Ministern, reiste aber ohne Ergebnis wieder zurück nach Hyderabad. Die Anerkennung der Telangana-Region als eigenen Bundesstaat fällt der Regierung sichtlich schwer. Sie hofft, wie in der Vergangenheit die Krise durch oft erprobte Verzögerungsmanöver aussitzen zu können. Der Hauptgrund für diese Hinhaltetaktik ist, daß mindestens ein Dutzend indische Regionen, z.B. Bodoland, Mithila, Purvanchal, Vindhya Padesh oder Gorkhaland, gleichfalls eine Eigenständigkeit im indischen Staatenverband fordert. Eine solche »Aufsplitterung«, so fürchtet die Regierung, könnte die Zentralgewalt und die gesamte indische Union schwächen.

Bei den Wahlen im Jahre 2004 hatte die mächtige Kongreßpartei die Bildung eines Telangana-Staates versprochen. Auch deshalb konnte sie die Abstimmung gewinnen und ging anschließend eine Koalition mit der regionalen konservativen Partei Telangana Rashtra Samiti (TRS) ein, machte dann jedoch einen Rückzieher. Im Dezember 2009 wiederum verkündete Innenminister Chidambaram den Beginn des Prozesses der Entwicklung Telanganas zum Bundesstaat und löste damit bei den Einwohnern Jubel aus. 14 Tage später annullierte er die Ankündigung jedoch wieder. So ist es kein Wunder, daß sich die Telangana-Aktivisten verschaukelt fühlen. Die TRS ist die treibende Kraft hinter den derzeitigen Protesten.

* Aus: junge Welt, 8. Juli 2011


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