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Der "Stahlkaiser" baut sein Imperium aus

Indiens Regierung: Der europäische Widerstand gegen Mittals Werben um den Arcelor-Konzern "riecht nach Rassismus"

Von Hilmar König, Delhi*

Lakshmi Narayan Mittal, der aus Indien stammende »Stahlkaiser«, greift nach den Sternen. Er will den europäischen Stahlgiganten Arcelor für 18,6 Milliarden Euro aufkaufen und damit sein Imperium zum größten multinationalen Konzern der Branche erweitern. Noch schlägt ihm harter Widerstand aus westeuropäischen Metropolen entgegen. Doch Mittal lässt sich so leicht nicht entmutigen.

Die indische Regierung, die sich in der Kontroverse um den asbestverseuchten französischen Flugzeugträger »Clemenceau«, der im Unionsstaat Gujarat abgewrackt werden soll, auffällig zurückhält, stellte sich in der vorigen Woche an die Seite Mittals, ihres reichsten Landsmannes. Kommerz- und Industrieminister Kamal Nath äußerte in einem Interview, die mit eventuellen Arbeitsplatzverlusten begründete ablehnende Haltung europäischer Regierungen und Arcelors gegen die Fusionsabsichten »riecht nach Rassismus«. Diese Einstellung könnte zum Entgleisen der globalen Handelsgespräche im Rahmen der Welthandelsorganisation führen. Er sagte: »Es ist Fremdenhass. Die Regierung Indiens ist sehr besorgt. Wir beobachten das mit einem Gefühl der Enttäuschung.« Bei anderer Gelegenheit hatte Kamal Nath bereits bekundet: »Als Inder bin ich stolz auf das von einem Inder, Lakshmi Mittal, unterbreitete Angebot.«

Europa-Kapitalist mit asiatischen Wurzeln

Der in Kalkutta ausgebildete Stahlmagnat hingegen bezeichnet sich unter Hinweis auf seinen Firmensitz in Rotterdam, seine Residenz in London und angesichts von 70 000 Beschäftigten in zu »Mittal Steel« gehörenden Betrieben in Frankreich, Deutschland, Polen, der Ukraine, Rumänien, Mazedonien, Bosnien und in der Tschechischen Republik als Europäer. Das Magazin »Fortune« kürte ihn ja auch 2004 zum »Europäischen Geschäftsmann des Jahres«.

Dennoch kann und will der clevere Kapitalist seine asiatischen Wurzeln nicht verleugnen. Er besitzt den blauen Reisepass Indiens und gilt als wohlhabendster »NRI« (Non-Resident Indian), was man mit »Auslandsinder« übersetzen kann. Welche Rolle die Nationalität des agilen Industriellen, der 2005 mit einem Vermögen von etwa 25 Milliarden Dollar zum drittreichsten Mann in der Welt erklärt wurde, im Tauziehen mit dem luxemburgischen Konkurrenten wirklich spielt, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Etliche Bemerkungen des Arcelor-Exekutivchefs Guy Dolle veranlassten indische Medien freilich dazu, von »einem außergewöhnlichen Krieg des ökonomischen Nationalismus zwischen Europa und Indien« (»Times of India«) zu schreiben.

Als arrogant empfand man beispielsweise den Vergleich Dolles, Arcelor produziere Parfüm, während Mittal lediglich Kölnisch Wasser herstelle, oder als er von seinem Konzern als dem »Airbus der Stahlindustrie« schwärmte und Mittal als gewöhnlichen Rohstahlproduzenten abkanzelte. Dieser bewies Souveränität und reagierte auf die provozierenden Vergleiche nicht, intensivierte hingegen seinen Werbefeldzug auf diplomatischem Parkett und nahm Kontakt mit Arcelor-Aktionären auf, von denen er angeblich »positive Antworten« erhalten hat. Auch Dolles anderes »Argument«, die beiden Multis würden wegen unterschiedlicher Unternehmenskulturen und -werte nicht zueinander passen, steht aus indischer Sicht auf tönernen Füßen. Würde Lakshmi Mittal nicht einen modernen Führungsstil pflegen und in all seinen Zweigbetrieben erstklassige Manager beschäftigen, hätte er es nicht zur globalen Nummer Eins in der Branche gebracht.

Die indische Linke sieht den Streit skeptisch

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass sich Indiens Linke öffentlich im »Krieg des ökonomischen Nationalismus« bislang nicht zu Wort gemeldet hat. Sie sähen dazu keine Veranlassung, sagen mir kommunistische Bekannte im persönlichen Gespräch. Sie verstehen die ganze Aufregung nicht und fragen: Bleibt Kapitalist nicht Kapitalist, unabhängig von seiner Hautfarbe und Nationalität? Ist Maximalprofit nicht stets sein oberstes Ziel? Alle Erfahrungen zeigten doch, wenn ein Konzernboss durch den Abbau von Arbeitsplätzen den Gewinn erhöhen kann, mache er das. Da gebe es wohl keinen Unterschied zwischen Arcelor und Mittal. Abschottung und Protektionismus sehen sie als die eigentlichen Gründe für den westeuropäischen Widerstand gegen Mittals Pläne an. Und sie verweisen auf Bemerkungen von EU-Handelskommissar Peter Mandelson und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die europäische Politiker wegen Populismus und fehlender Öffnungsbereitschaft kritisierten.

Wer ist dieser Lakshmi Narayan Mittal? Er wurde am 15. Juni 1950 in dem kleinen Dorf Sadulpur im rajasthanischen Distrikt Churu geboren. Der landesweit erfolgreichen Marwari-Kaste der Händler, Geschäftsleute und Geldverleiher angehörend, war es nahe liegend, dass die Familie aus dem rückständigen Wüstenort in die geschäftige westbengalische Metropole Kalkutta umsiedelte. Vater Mohan Lal gründete dort 1950 eine kleine Eisen verarbeitende Fabrik. Hier lernte Lakshmi Narayan von der Pike auf alles, was für das Geschäft mit Eisen, Erz und Stahl wichtig ist. Zugleich betrieb er am St. Xavier's College in Kalkutta Kommerzstudien und schloss sie mit einem Diplom ab.

Während der Vater bodenständig blieb und in Kalkutta mehrere Stahlwerke aufbaute, drängte es den Sohn nach Abschluss des Studiums, bald seine Fähigkeiten im internationalen Business zu beweisen. Beseelt von dem Wunsch, der »größte und am besten geführte Stahlproduzent in der Welt« zu werden, legte er dafür 1976 in Indonesien mit der Inbetriebnahme eines hochmodernen Stahlwerkes den Grundstein. 1989 kaufte er das schwere Verluste machende staatliche Iscott-Unternehmen in Trinidad und Tobago und wandelte die Stahlfirma innerhalb eines Jahres zu einem profitablen Betrieb um. Bei der Erweiterung seines globalen Imperiums bevorzugte es Mittal stets, kleinere Firmen am Rande des Bankrotts zu kaufen und diese mit ausgezeichnetem Managerverstand und technologischer Innovation zu modernisieren. Inzwischen beschäftigt die Mittal Steel Company rund 150 000 Arbeiter und Angestellte in 17 Ländern auf vier Kontinenten. Aber nicht nur mit Stahl, sondern auch in »verwandten« Branchen wie Schiffbau, Energieerzeugung und -verteilung sowie Bergbau macht der »NRI« heute Geschäfte. Dabei hält er sein Engagement in Indien auf ein Minimum reduziert, angeblich wegen der hier immer noch blühenden Bürokratie. Allerdings soll die Firma, in der auch Mittals Sohn Aditya einen Kommandoposten innehat, in ernsthaften Verhandlungen mit dem Chefminister des an Bodenschätzen reichen Unionsstaates Jharkhand stehen. Offensichtlich wittert der »Stahlkaiser«, der sich selten verkalkuliert hat, hier ein Bombengeschäft in heimatlichen Gefilden.

Über Jahrzehnte beherzigte Lakshmi Narayan Mittal die Warnung seines Vaters: »An dem Tag, da du ins Rampenlicht trittst, beginnt dein Niedergang.« Ohne großes Aufsehen zu erregen, verwirklichte er seinen Wunsch, die Nummer Eins im Stahlsektor zu werden, pflegte einen disziplinierten Lebensstil, einschließlich täglich einer Stunde Yoga-Übungen, und vermied auch nach der Verlegung seines Firmenhauptquartiers im Jahre 1995 von Indonesien nach London jegliche Skandale.

Tony Blair revanchiert sich für eine Spende

Doch dann ließ sich die Maxime des Vaters wohl nicht länger einhalten. 2002 traf ihn der Bumerang einer Millionen-Pfund-Sterling-Spende an die britische Labour Party. Für dieses Wahlgeschenk hatte sich Premier Tony Blair mit einem »Empfehlungsschreiben« an die Regierung Rumäniens revanchiert, wo Mittal erfolgreich um den Erwerb des staatlichen Betriebes Sidex buhlte. Es folgte 2003 der spektakuläre Kauf der Londoner Residenz in Kensington Palace Gardens, für die er dem Vorbesitzer, Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, 128 Millionen Dollar hinblätterte. Und ein Jahr später erneut Schlagzeilen mit der pompösen, 60 Millionen Dollar teuren Hochzeit seiner Tochter Vanisha.

Und nun sorgt der »Stahlkaiser« mit seinen hartnäckigen Avancen gegenüber Arcelor weltweit für Schlagzeilen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2006


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