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Polizei gegen Arundhati Roy

Indien: Schriftstellerin nach Besuch bei Rebellen im Visier der Sicherheitsbehörden

Von Ashok Raiput, Neu-Delhi *

Die mutige indische Menschenrechtlerin und Autorin Arundhati Roy sieht sich im Fadenkreuz der Sicherheitsbehörden, nachdem der Generaldirektor der Polizei des ostindischen Bundesstaates Chhattisgarh erklärt hatte, man prüfe ernsthaft, Frau Roy nach dem Sicherheitssondergesetz anzuklagen. Anlaß dafür war ein Besuch Roys im Frühjahr in Dantewada, einer Stadt in der Chhattisgarh-Region. Dieser Bundesstaat wird weitgehend von den maoistischen Rebellen kontrolliert, die dort zum Beispiel am 6. April ein Sicherheitskommando in einen Hinterhalt laufen ließen. 76 Angehörige der Zentralen Polizeireserve wurden dabei getötet. Arundhati Roy war mit der Guerilla durch den Dschungel gezogen und hatte Ende März in dem Magazin Outlook einen Erlebnisbericht unter dem Titel »Marschieren mit den Genossen« publiziert. Er erregte nicht nur in der Öffentlichkeit Aufsehen, sondern auch im indischen Sicherheitsapparat. Ihre vielen Kritiker sehen nun eine Chance, sie endlich gerichtlich zu verfolgen.

An ihrer Sympathie für die militanten Maoisten läßt die Autorin in ihrem Essay keinen Zweifel. Sie wirbt um Verständnis für deren Vorgehen, erläutert die historischen Hintergründe des Konflikts, die aktuellen Lebensbedingungen der in Dantewada lebenden verschiedenen indigenen Stämme, deren soziale Ausweglosigkeit, ihr Abgekoppeltsein vom »Entwicklungshauptstrom« Indiens, das Versagen der staatlichen Behörden und deren Kollaboration mit den Bergbaukonzernen. So zeichnet sie ein beeindruckendes, wirklichkeitsnahes Bild des anhaltenden maoistischen Aufstands und der gewaltsamen Versuche der Sicherheitskräfte, diesen zu ersticken.

In der vergangenen Woche reagierten 35 Prominente, darunter Akademiker, Journalisten, Sozialwissenschaftler und Juristen, mit einer gemeinsamen Stellungnahme auf die nach Veröffentlichung des Artikels entfachte Kampagne gegen Arundhati Roy. Sie verurteilten die Drohungen der Polizei als Verletzung der Meinungsfreiheit. Ein Land, das sich immer wieder selbst wegen seiner Demokratie lobt, müsse solche freimütigen und ehrlichen Ansichten, wie sie Arundhati Roy formulierte, erlauben. Die Gruppe befürchtet, Neu-Delhi wolle damit kritische, von der offiziellen Meinung abweichende Stimmen abwürgen. Roys Bericht sei jedoch gerade deshalb so wertvoll, weil er die Perspektive der Maoisten reflektiere, »eine Perspektive, die die Menschen des Landes kennen müssen«. Die Regierung sollte den Outlook-Bericht gewissenhaft analysieren und für fundierte Entscheidungen im Umgang mit den Maoisten nutzen.

Die Schriftstellerein selbst scheint die Strafandrohung jedoch nicht zu beirren. Auf einer Pressekonferenz Mitte April in Kolkata sprach sie erneut von einem »Krieg gegen die Ärmsten«, den die Zentralmacht im indischen Bergbaugürtel unter dem Vorwand führe, gegen die Maoisten zu kämpfen. Damit solle ein »günstiges Investitionsklima« für die Großkonzerne geschaffen werden. Die betroffene Bevölkerung in dem von den Maoisten beherrschten »roten Widerstandsgürtel« habe »den Glauben in die institutionelle Demokratie verloren.« Als einzigen Ausweg aus der blutigen Konfrontation sehe sie, eine Atmosphäre für Verhandlungen zwischen beiden Seiten zu schaffen.

Das fordern auch andere Menschenrechtsaktivisten und Politiker. Binayak Sen, ein Arzt, der wegen angeblicher Kontakte zu den Maoisten zwei Jahre im Gefängnis saß, hält einen Dialog zwischen den Rebellen und der Regierung für dringend notwendig, im Gegensatz zu verstärkten Militäroperationen wie die laufende Offensive »Green Hunt«. Auch Dorasamy Raja von der Kommunistischen Partei In­diens (CPI) betonte im Parlament, dem »Extremismus« müsse politisch, ideologisch, wirtschaftlich sowie »mit der Ausübung von Gerechtigkeit in den Stammesgebieten« begegnet werden. Gewalt, von welcher Seite und mit welchen Mitteln auch immer ausgeübt, sei keine Lösung. Selbst Premier Manmohan Singh gestand Mitte voriger Woche ein, er übersehe nicht, daß viele Gebieten, in denen die »Extremisten« aktiv sind, von Unterentwicklung geprägt sind. Die dort lebenden, überwiegend armen Stammesangehörigen hätten von den Früchten der Entwicklung bislang kaum etwas abbekommen.

* Aus: junge Welt, 26. April 2010


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