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Indien und Pakistan: Rückfall in alte Zeiten

Von Dmitri Kossyrew, Moskau *

Dass Indien und Pakistan zwei feindliche Atommächte sind, regt offenbar keinen der Beobachter auf, die die Versuche der beiden zur Wiederaufnahme der Verhandlungen verfolgen.

Diese Angelegenheit ist in den Hintergrund getreten. Islamabad und Neu-Delhi hatten im Mai 1998 Atomtests durchgeführt und im April 1999 gleichzeitig die Trägerraketen für atomare Gefechtsköpfe getestet. Es ist auch klar, dass beide Staaten die Atomwaffen dafür brauchen, um sich gegenseitig abzuschrecken.

Die zwei Hälften des einst einheitlichen Indiens standen nach 1998 mindestens zweimal am Rande eines Krieges. In beiden Fällen hatte es keine Zweifel an ihrer Fähigkeit gegeben, die Atomarsenale unter Verschluss zu halten.

Der wiederaufgenommene Dialog zwischen Indien und Pakistan ist eher aus den anderen Gründen von Interesse. Er bezieht sich auf den Krieg der Nato und USA in Afghanistan sowie auf die Taliban und andere Extremisten, die in direkter Beziehung zu Pakistan stehen. Zudem betrifft er die Staaten Zentralasiens und die Sicherheit der südlichen Grenzen Russlands. Letztendlich kann man am Beispiel dieser Geschichte den Verlauf der größeren Ereignisse in der Welt verfolgen.

Das Geschehen am Donnerstag (25. Feb.) in Neu-Delhi wirkt eigentlich kaum beeindruckend. Es handelte sich um nicht mehr als die "Verhandlungen über die Verhandlungen" - um einen Versuch, einen Plan für einen neuen Dialog zu erarbeiten. Also ein absolut technisches Verfahren, das auf der Ebene der Vizeaußenminister erörtert worden war. Am Rande des Treffens hat die indische Außenministerin Nirupama Rao lediglich mitgeteilt, dass beide Staaten "Kontakt pflegen" werden, um das Vertrauen wiederherzustellen. Weder die Zeit noch der Ort für weitere Kontakte wurden bekannt gegeben.

Die ersten Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen begannen 2003, als Neu-Delhi und Islamabad ihre diplomatischen Beziehungen wiederaufnahmen (abgebrochen wurden sie nach dem elf Wochen dauernden Krieg in Kaschmir, das Pakistan für eine umstrittene Region hält). Dann folgten Treffen der führenden Repräsentanten der beiden Staaten sowie auch andere Gespräche.

Dennoch wurden sie nach den Anschlägen von aus Pakistan kommenden Terroristen im November 2008 abgebrochen. Bei dem Terrorangriff hatten Attentäter innerhalb von drei Tagen in der größten Stadt Indiens, Mumbai, insgesamt 185 Menschen getötet. Man kann sich gut vorstellen, dass es ziemlich kompliziert ist nach diesem blutigen Vorfall die Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten zumindest auf das Niveau von 2003 zu bringen.

Die jetzigen Verhandlungen haben eine Besonderheit: Man kann eine sanfte, aber zugleich beharrliche Hand der US-Administration spüren, die die Annäherung der beiden Nachbarstaaten stimuliert. Die US-Version der Situation sieht ungefähr so aus: Der internationale Schwerpunkt der US-Administration ist der Afghanistan-Krieg und das Geschehen um diesen Krieg, einschließlich Irans. Europa, Russland und Lateinamerika treten in den Hintergrund, sogar die Beziehungen zu China haben derzeit einen geringeren Stellenwert, obwohl China indirekt in Beziehung zum Afghanistan-Krieg steht.

Dennoch wird der Afghanistan-Krieg ohne Zusammenarbeit mit Pakistan verloren, weil die Taliban ein Produkt der pakistanischen Geheimdienste sind und deren Rückzugsgebiete in Pakistan liegen. Im Laufe der vergangenen Jahre hat Islamabad zwölf Milliarden US-Dollar für die Verstärkung seiner Armee von den USA bekommen und neigt mit halben Herzen zur Zusammenarbeit.

Die gespannten Beziehungen zu Indien lenken Pakistan, darunter auch die Militärs, von der Teilnahme am Afghanistan-Krieg ab. Der zunehmende Kampf zwischen Indien und Pakistan um Einfluss in Afghanistan ist ein Phänomen - ein störendes. Zusammenfassend kann man sagen, dass Neu-Delhi und Islamabad einen Dialog aufnehmen müssen.

Wenn man die Liste der US-Gäste in den beiden Metropolen betrachtet, kann man schlussfolgern, dass sich die Obama-Administration tatsächlich bemühte, dem Dialog zwischen Indien und Pakistan zu einem Neustart zu verhelfen.

Alles wäre in Ordnung gewesen, wenn Indien weniger skeptisch die Situation eingeschätzt hätte. Dabei geht es nicht darum, dass die indischen Wähler nach den Mumbai-Anschlägen kaum an die Normalisierung der Beziehungen zu Pakistan glauben - dies ist selbstverständlich. Es handelt sich um die Einschätzungen der Militärs und der Außenpolitiker.

Denen zufolge benötigt die Obama-Administration so sehr die Zusammenarbeit mit Pakistan (genauer gesagt mit dessen Militärs), dass sie sich allmählich vom Standpunkt dieser Militärs beeinflussen lässt, wie man mit den Taliban umgehen soll. An dieser Stelle muss erinnert werden, dass Al-Qaida eine böse Ausgeburt der US-Geheimdienste und die Taliban ein Produkt deren pakistanischer Kollegen ist.

Dazu gehören auch andere Terrororganisationen wie beispielsweise Lashkar-e-Taiba, die anscheinend am Terroranschlag auf Mumbai beteiligt gewesen war und ebenfalls ein kaum kontrollierbares Nebenprodukt der pakistanischen Militärs und Geheimdienste ist.

Wenn die USA Pakistan in dieser Frage nachgeben werden, werde alles beim Alten bleiben und die "Entdschihadisierung" Pakistans nicht stattfinden, heißt es in Neu-Delhi. Afghanistan wird unter Kontrolle der Taliban geraten, gegen die derzeit die USA kämpfen. Eine Zeitlang werden sie sich vielleicht ziemlich friedlich verhalten und sich mit den Behörden aussöhnen. Der Einfluss der Taliban auf die Nachbarstaaten (Tadschikistan, Usbekistan) mit den entsprechenden Folgen für Russland wird sich ausdehnen.

Die Situation wird nach wie vor erhalten bleiben, wenn es im zentralen Gebiet Südasiens eine unkontrollierbare Region gibt, eine Art Somalia (es handelt sich in diesem Fall um die Grenzgebiete zwischen Afghanistan und Pakistan). Die USA werden sich den Sieg zuschreiben und die Region verlassen. Indien, Russland sowie andere Staaten werden bleiben.

Die Politiker in Neu-Delhi ziehen aus dieser Situation in der Region überraschende Schlussforderungen. Die Obama-Administration erfülle nicht die ursprünglichen Erwartungen. Es werden zwar nicht die Fehler der katastrophalen Politik von George W. Bush wiederholt (es gibt einfach keine Ressourcen dafür), die Diplomatie Obamas fällt aber in die 90er Jahre der die Clinton-Ära zurück und zieht Indien und Pakistan mit sich.

Es muss betont werden, dass Bush auch einige Fortschritte in der Außenpolitik erreicht hatte - es handelt sich aus US-Sicht um eine ziemlich rationale Politik in Asien (zumindest in Bezug auf Indien und China). Obama legt auf diese Fortschritte anscheinend keinen Wert.

Obamas Diplomatie ähnelt sich zunehmend Clintons Diplomatie, was noch weniger akzeptabel ist als die Diplomatie von Bush. Dies ist deutlich an einigen Aspekten des "Resets" zwischen Moskau und Washington zu erkennen. Eine andere Sache ist, dass Barack Obama bisweilen überhaupt keine aktive Außenpolitik zu verfolgen scheint. Dennoch unternimmt er in den für ihn wichtigsten Richtungen aktive Schritte. Gerade daraus können Schlüsse gezogen werden, was das für eine Politik ist.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 26. Februar 2010; http://de.rian.ru


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