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Forderung nach Friedensdialog Indien-Pakistan

Vertreter von Bürgerorganisationen beider Länder debattieren in Delhi Wege aus der Sackgasse

Von Hilmar König, Delhi *

Während die Bevölkerung Indiens und Pakistans immer noch auf die offizielle Wiederaufnahme des Friedensdialogs wartet, haben zehn Organisationen der Bürgergemeinschaft und die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen in Delhi eine Konferenz zum Thema »Roadmap für Frieden zwischen beiden Ländern« eröffnet.

Nach der Terroroperation vom November 2008 in Mumbai, der über 160 Menschen zum Opfer fielen, ist die Tagung in Delhi die erste große Begegnung von Repräsentanten beider Seiten. Indien hatte wegen der offenkundigen Beteiligung pakistanischer Drahtzieher an dem Überfall den Friedensdialog abgebrochen. Die Teilnehmer der Konferenz forderten nun auf ihrem ersten Beratungstag einhellig, die offiziellen Gespräche wieder aufzunehmen. Drei Tage lang tauschen sie Ansichten zu einer Vielzahl aktueller bilateraler Themen aus: Ein Kurs zu Entspannung und Normalisierung des Nachbarschaftsverhältnisses sowie Frieden und Sicherheit in Südasien stehen ebenso zur Debatte wie Autonomie für die Region Jammu und Kaschmir und die pakistanische Provinz Belutschistan, ein gemeinsamer Mechanismus gegen Militanz, die Rolle der USA, der Handel als Friedensinstrument, Medien und Kultur in Krieg und Frieden sowie Schlussfolgerungen aus dem Klimawandel für die indo-pakistanischen Beziehungen. Die Veranstalter haben sich also für ein außerordentlich breites Spektrum entschieden und nicht nur das Haupthindernis - den Kaschmirkonflikt - ins Visier genommen.

Dieser Konferenz kommt vor dem Hintergrund der jüngsten Verschlechterung im politischen Klima zwischen Delhi und Islamabad besondere Bedeutung zu. Ende vorigen Jahres hatte der indische Armeechef Deepak Kapur mit ein paar Bemerkungen zu einer überarbeiteten Militärdoktrin für Irritationen gesorgt. Die Doktrin soll als neue Komponenten ein »Zwei-Fronten-Szenario« sowie »aktive Abschreckung« enthalten. Laut dem Militärberichterstatter der Zeitung »Times of India« würde im Kriegsfall der erste Schlag im Rahmen der bekannten »Kaltstart-Strategie« dem Nachbarn Pakistan gelten, das Geschehen sich danach allmählich in den »nordöstlichen Himalaja« verlagern. Mit anderen Worten nach China.

Die Reaktion von Medien und Politikern aus Islamabad war vehement: Indien solle seinen Armeechef absetzen. Dessen Äußerungen kämen einer »Kriegserklärung« gleich und seien die »Höhe von Unverantwortlichkeit«. Sie zeugten von »unzeitgemäßer Falken-Gesinnung des indischen Establishments«. Der UNO-Sicherheitsrat solle sich mit dieser »Provokation« befassen. Pakistans Außenamtssprecher Abdul Basit sprach von einer »feindlichen Absicht und hegemonistischer und chauvinistischer Geisteshaltung, die ziemlich gegen die Realitäten unserer Zeit läuft«.

Armeechef Ashfaq Parvez Kayani verwies umgehend auf die Fähigkeit seiner Truppen, »jeder aggressiven Absicht oder Kaltstart-Strategie eine Niederlage zu bereiten.« Außenminister Shah Mahmud Qureshi bewertete Kapurs Bemerkungen als »absurd und unverantwortlich«. Der Minister betonte: »Wir wollen Frieden in der Region und die Lage normalisieren. Wir wollen die Wiederaufnahme des umfassenden Dialogs mit Indien.« Inzwischen versuchte der indische Verteidigungsminister A. K. Antony die Wogen zu glätten, äußerte sich verwundert über die pakistanische »Überreaktion« und versicherte, Delhi habe weder »exterritoriale Ambitionen« noch sei es »kriegstreiberisch«.

Pakistans Präsident Asif Ali Zardari sah sich dennoch genötigt zurückzuschlagen und die Aufmerksamkeit auf den seit 1947 schwelenden Kaschmirkonflikt zu lenken. Diese Region im Norden des Subkontinents ist geteilt und wird teils von Indien und teils von Pakistan verwaltet. Beide Staaten beanspruchen jedoch das gesamte Gebiet und führten bereits dreimal Krieg um den Zankapfel. Laut Zardari ist der Frieden auf dem Subkontinent untrennbar verbunden mit der Lösung des Kaschmirproblems. Es handele sich um »einen Krieg der Ideologien, der noch Generationen dauern wird«. Die »Times of India« machte daraus die Schlagzeile, Pakistan sei wegen Kaschmir bereit zu einem »tausendjährigen ideologischen Krieg«.

Die pakistanische Zeitung »Dawn« schrieb zu den Drohungen und Gegendrohungen: »Neu-Delhi sollte zur Kenntnis nehmen, dass Pakistans Armee in eine Großoffensive gegen die Militanten verwickelt ist, die unsere gemeinsamen Feinde sind. Das Klima anzuheizen, selbst Krieg anzudeuten, dient in dieser kritischen Phase keinerlei konstruktivem Zweck. Es sollte offenkundig sein, dass es in einem nuklearen Konflikt zwischen den zwei Ländern keinen Sieger geben kann - beide werden ausgelöscht, so viel steht fest.«

Dass trotz dieser Atmosphäre die Konferenz stattfindet, lässt hoffen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Januar 2010


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