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Neuer Härtetest für Pakistan und Indien

Falken in Delhi träumen von eigenen Einsätzen gegen Terroristen im Nachbarland / Regierung setzt weiter auf Dialog

Von Henri Rudolph, Delhi *

Der Tod Osama bin Ladens hat nicht unerwartet auch zahlreiche Fragen zum indo-pakistanischen Verhältnis aufgeworfen. Politische und militärische Falken in Delhi dachten laut darüber nach, ob ein indisches Killerkommando im Stil der US-Seals nicht ebenfalls erfolgreich auf Terroristensuche im Nachbarland gehen könnte.

Hohe Vertreter des Heeres und der Luftwaffe Indiens gaben sich gleich nach der Todesnachricht überzeugt davon, dass ihre »Boys« ebenso fähig wären, unentdeckt auf pakistanischem Gebiet zuzuschlagen. Genau das hatten Hardliner schon nach dem von pakistanischen Hintermännern eingefädelten Blutbad im November 2008 in Mumbai als eine Art Vergeltungsschlag erwartet. Bei dem Massaker wurden über 160 Menschen getötet. Diese Kreise erneuerten nach der USA-Operation in Abbottabad ihre Forderung, Indien dürfe nicht zögern, im Streben nach Gerechtigkeit für die Mumbai-Opfer grenzübergreifend Gewalt anzuwenden.

Weil Bin Laden unbehelligt in Pakistan leben konnte, forderte die hindufundamentalistische Indische Volkspartei (BJP), auch die Wiederaufnahme des Friedensdialogs auszuschließen. Man müsse eine harte Einschätzung der Realität vornehmen, so BJP-Sprecher Ravi Shankar Prasad: »Kein fruchtbarer Dialog ist möglich, so lange Pakistan weiter Terrorismus sponsert.« Die Falken fragen, warum indische Diplomaten und Militärs ihrem pakistanischen Gegenüber trauen sollten, wenn selbst die USA ihren »Spezialbündnispartner« nicht im voraus über den Angriff auf Osama bin Laden informierten.

Aber auch Nichtscharfmacher sehen viele Bedenken bestätigt. Die Zeitung »The Hindu« brachte sie auf einen Nenner: »Zweifellos hat die Bin-Laden-Episode den seit langem gehegten indischen Verdacht über das pakistanische Establishment und dessen undurchsichtige Rolle beim Aufpäppeln von Militanten auf seinem Territorium erhärtet. Sie hat die indische Liste gesuchter Verbrecher, die vermutlich in Pakistan untergeschlüpft sind, wieder in den Blickpunkt gerückt. Und sie hat Indiens Forderung bekräftigt, dass Pakistan auf seinem Boden die Infrastruktur des Terrors zu demontieren hat.«

Dennoch hat sich die indische Regierung nicht zu Unbedachtsamkeiten hinreißen lassen. Außenminister Somanahalli Mallaiah erklärte bei einem Besuch in Singapur, ein Beendigung des Dialogs wäre »kein weiser Schritt.« Im Gegenteil, die Probleme zwischen beiden Staaten müssten »sehr sorgfältig und behutsam« behandelt werden. Aus Regierungskreisen hieß es, Gespräche mit Islamabad würden fortgesetzt. Indien werde das auf seine eigene Art, realistisch, mit Augenmaß und der Tatsache gemäß tun, dass Pakistan ein Nachbar ist. Das sei »kein Zeichen der Hilflosigkeit, sondern eine sehr rationale Entscheidung und für unsere Völker der beste Weg voran«, betonte Nirupama Rao, Staatssekretärin im Außenamt. Sich von Pakistan abzukoppeln, sei keine Option, da eine Reihe höchst komplizierter, konfliktträchtiger Probleme nur im Dialog zu lösen ist, trotz der indischen Besorgnis über die terroristische Bedrohung durch Pakistan.

Islamabad reagierte gereizt und scharf auf die Äußerungen der indischen Falken. Die pakistanische Armeeführung erklärte, auf ein derartiges »Abenteuer« würde es eine »sehr starke Antwort« geben. Außenamtsstaatssekretär Salman Bashir warnte, eine Kopie der einseitigen USA-Aktion würde eine »schreckliche Katastrophe zur Folge haben«. Auch er befürwortete eine Fortsetzung der Gespräche. Erst Anfang des Monats hatte es vielversprechende Verhandlungen zwischen den Handelsministerien beider Staaten gegeben.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Mai 2011


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