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Habgier tötet Menschen in Not

Pharma-Multi Novartis macht Front gegen das indische Patentrecht

Von Hilmar König, Delhi *

Gesundheitsdienste und Nichtregierungsorganisationen, die sich in Entwicklungsländern mit der Behandlung von Aids befassen, sind alarmiert: Sollte der Schweizer Pharmakonzern Novartis, der vor einem indischen Gerichtshof geklagt hat, Recht bekommen, hat das katastrophale Folgen.

In Chennai (Madras) findet am Donnerstag die nächste Anhörung im Fall des Konzerns Novartis statt, der eine angeblich verbesserte Version des Anti-Leukämie-Medikaments Glivec in Indien patentrechtlich schützen lassen will. Das wurde im Sommer 2006 von der zuständigen Behörde mit dem Hinweis auf Indiens verändertes Patentgesetz abgelehnt, da es sich, so die Argumention, lediglich um die modifizierte Form eines bestehenden Arzneimittels handele. Novartis erhob gegen diesen Bescheid und gegen den Passus im Patentrecht Klage. Die Firma bezeichnete das Gesetz als verfassungswidrig, da es inkompatibel mit dem 1995 in Kraft getretenen Abkommen über Handelsbezogene Intellektuelle Eigentumsrechte sei, dem Indien im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO zugestimmt hat.

Der Fall findet weltweit mediale Beachtung, denn sollte Novartis Erfolg haben, geriete die medikamentöse Versorgung zu erschwinglichen Preisen von Millionen wenig Bemittelten in Indien und vielen anderen Ländern in Gefahr. Indien produziert kostengünstig Generika (»Kopien«) und gilt deshalb als »Apotheke der Dritten Welt«. Rund die Hälfte aller Aids-Medikanente in Entwicklungsländern stammt von da. Die »Apotheke« liefert beispielsweise Arzneimittel für die Organisation »Ärzte ohne Grenzen« (MSF), die in über 30 Ländern den Kern der Aids-Behandlung bildet. Von den mehr als 80 000 Patienten, die die Organisation betreut, bekommen 80 Prozent indische Nachahmerprodukte. »Wir erreichen ein Viertel der Menschen, die im subsaharischen Raum antiretrovirale Behandlung brauchen«, erklärt Dr. Ivy Mwangi von MSF. Eine intensive Behandlung sei nur möglich, wenn generische Arzneimittel, von denen die meisten in Indien hergestellt werden, erhältlich und erschwinglich sind. Im Jahre 2000 hätten die antiretroviralen Behandlungskosten bei 10 000 Dollar pro Patient und Jahr gelegen. Dank der indischen Produkte beliefen sie sich jetzt auf 70 Dollar.

MSF und Oxfam International haben in 150 Ländern rund 25 0000 Unterschriften für einen Appell an Novartis gesammelt, die Klage zurückzuziehen. In diesem Sinne protestierten in Delhi Ende Januar Hunderte Menschen aus Sorge, dass dieser Präzedenzfall von anderen Pharmakonzernen als Signal für ähnliche Attacken verstanden wird. Etwa zum gleichen Zeitpunkt forderten in Washington verschiedene Aids-Gruppen »Patientenrechte und nicht Patentrechte«. Sie riefen: »Novartis greed kills people in need. Novartis' Habgier tötet Menschen in Not.«

Elango Ramchandar, Präsident des indischen Netzwerkes für Aids-Erkrankte, sieht den größeren Zusammenhang. »Wir opponieren gegen die Patente für essenzielle Aids-Medikamente«, sagt er. »Unser Überleben hängt davon ab. Novartis ist ein Testfall für uns.« Leena Menghaney von MSF India schlägt in die gleiche Kerbe und meint, ein Sieg für Novartis »wäre ein Desaster für die Dritte Welt«. Amit Sengupta, Mitbegründer der Bewegung Volksgesundheit, hält es zudem für »höchst bizarr, ja unverschämt, dass ein multinationales Unternehmen das souveräne Recht der indischen Regierung in Frage stellt, nach ihrem eigenen Gesetz zu handeln«. Deshalb hat auch die KP Indiens (Marxistisch) in einer Erklärung die Regierung in Delhi aufgefordert, energisch das Patentgesetz gegen die Profitgier ausländischer Pharma-Multis zu verteidigen.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Februar 2007


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