Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Maoisten-Rebellen töteten 75 Polizisten

Überfall im zentralindischen Dschungel / Folgenschwerster Angriff seit Ende der 60er Jahre

Die maoistische Guerilla in Indien hat den blutigsten Angriff auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer Rebellion Ende der 60er Jahre verübt.

Bei dem Überfall am Dienstag (6. April) im zentralindischen Bundesstaat Chattisgarh starben nach Behördenangaben 75 Polizisten. Wie das Innenministerium mitteilte, lockten die Rebellen eine Patrouille der Reservepolizei CRPF im Dschungel in einen Hinterhalt und attackierten sie. Zur Unterstützung herangerufene Einheiten wurden von den Aufständischen den Angaben zufolge mit schwerem Geschütz unter Feuer genommen. Die 75 Sicherheitskräfte seien in den Gefechten und durch Minen ums Leben gekommen, hieß es. Sieben weitere Polizisten seien verletzt worden.

Indiens Innenminister P. Chidambaram verurteilte die Tat. Diese zeige die »wilde Natur« und die »Brutalität« der Rebellen, sagte er vor Journalisten. Die Polizisten seien »in eine Falle geraten«.

Die maoistischen Rebellen, die auch Naxaliten genannt werden, setzen sich nach eigenen Angaben für die Belange benachteiligter Bevölkerungsschichten und landloser Bauern ein. In zahlreichen Untergruppen kämpfen Schätzungen zufolge bis zu 20 000 Rebellen. Sie gingen 1967 aus einer Bauernbewegung im Bundesstaat Westbengalen hervor und sind mittlerweile in 20 der insgesamt 29 Bundesstaaten aktiv. In den vergangenen Jahrzehnten kamen dabei Tausende ums Leben. Indiens Regierungschef Manmohan Singh bezeichnete die maoistische Guerilla als größte Bedrohung für die nationale Sicherheit neben den radikal-islamischen Kämpfern. Ende 2009 begann die Regierung eine »Grüne Jagd« getaufte Offensive gegen die Rebellen, um sie aus ihren Hochburgen zu vertreiben. Als Reaktion verstärkten die Maoisten in den vergangenen Monaten ihre Angriffe.

Mitte Februar töteten die Rebellen bei einer spektakulären Attacke auf ein Lager der Polizei 25 Menschen, darunter mehrere Beamte. Rund 20 Aufständische waren auf Motorrädern durch das Lager im Osten gerast, hatten das Feuer eröffnet und mehrere Landminen gezündet. Der bislang schwerste Rebellenangriff fand im März 2007 statt, als 55 Polizisten in Chhattisgarh getötet wurden.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2010


"Jäger" in der Falle

Indische Regierung nach Massaker an Polizisten geschockt. Innenminister kündigt hartes Vorgehen gegen maoistische Rebellen an

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi **

Die erste Reaktion aus dem indischen Innenministerium nach dem Massaker maoistischer Rebellen an einem Kommando der Zentralen Polizeireserve lautete: »Da muß etwas drastisch schiefgelaufen sein.« Das Kommando war am Dienstag auf dem Rückweg in sein Lager im Dschungel von Dantewada des mittelindischen Bundesstaates Chhattisgarh in einen Hinterhalt der Guerilla geraten und dabei nahezu aufgerieben worden. 76 Polizisten wurden getötet, ein Rettungshubschrauber beschossen, ein gepanzertes Fahrzeug in die Luft gesprengt. Die Angreifer erbeuteten sämtliche Waffen. Nicht nur Innenminister Palaniappan Chidambaram, sondern Vertreter des gesamten Sicherheits- und Antiterrorismusapparats Indiens zeigten sich geschockt. Für diese Kräfte gelten die Rebellenkommandos als die ernsteste Bedrohung der inneren Sicherheit.

Es war der bislang mächtigste Schlag der militanten Maoisten gegen die indische Staatsmacht. Die »Jäger«, die im Rahmen der Offensivoperation »Green Hunt« (Grüne Jagd) unterwegs waren, Verstecke der Rebellen aufzuspüren, gerieten selbst in eine tödliche Falle. An »Green Hunt« beteiligen sich rund 50000 Soldaten und Zehntausende Polizisten. Sie versuchen seit Herbst 2009, den »roten Korridor«, der sich durch unterentwickelte, weitgehend vernachlässigte Gebiete mehrerer Bundesstaaten zieht und von den Guerilleros beherrscht wird, wieder unter Regierungskontrolle zu bekommen. Das ist besonders schwierig, weil die Maoisten oft lokale Unterstützung erhalten. Sie verstehen sich als Anwälte der Armen in den rückständigen ländlichen und Stammesgebieten. Dort ist noch nichts vom indischen Wirtschaftswachstum zu spüren. Allerdings sind die einheimischen Konzerne und ausländischen Multis scharf auf die reichlich vorhandenen Bodenschätze in diesen Regionen.

Indiens parlamentarische Linke lehnt den Gewaltkurs der Maoisten rigoros ab. In dem von einer Linksfront regierten Bundesstaat Westbengalen töten sich Kader der KP Indiens (Marxistisch) und der KP Indiens (Maoistisch) gegenseitig. Das mehrfache Angebot der indischen Regierung an die Rebellen, die Waffen niederzulegen, an den Verhandlungstisch zu kommen und gemeinsam Entwicklungsaufgaben anzupacken, hat die Guerilla bisher zurückgewiesen. Sie fordert, zuerst die Operation »Green Hunt« einzustellen und etliche ihrer Führer freizulassen.

Minister Chidambaram, der sich am Mittwoch (7. April) auf den Weg nach Chhattisgarh machte, kündigte an, Militär noch härter gegen die Rebellen vorgehen zu lassen. So sieht es ganz danach aus, daß das Massaker vom Dienstag nur den Auftakt zu einer weiteren Eskalation der Gewalt im »roten Korridor« bildet.

** Aus: junge Welt, 8. April 2010


Zurück zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage