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Widerstand gegen Enteignung

Südkoreanischer Konzern braucht in Indien Land für Industriegroßprojekt *

Im ostindischen Unionsstaat Orissa wehren sich Tausende Dorfbewohner gegen die Zwangsenteignung ihres Acker- und Forstlandes. Der südkoreanische Konzern POSCO braucht für ein riesiges Industrieprojekt über 3000 Hektar Boden. Die Regierung Orissas verschob in den letzten Tagen den »Landerwerb«, den sie mit Polizeimaßnahmen im Distrikt Jagatsinghpur bereits in Angriff genommen hatte, immer wieder wegen »Wetterunbilden«. Tausende Männer und Frauen, Kinder, Alte und Gebrechliche, die in schwüler Hitze oder bei strömendem Regen auf dem Boden sitzend oder liegend den Zugang zur Ortschaft Gobindpur und zu anderen Dörfern blockierten, sind jedoch davon überzeugt, daß ihr Protest gegen die Zwangsenteignung Wirkung zeigt.

Unter Führung der Pratirodh Sangram Samithi (Widerstandsbewegung gegen das POSCO-Projekt, PPSS) wehren sie sich auf gewaltlose Art gegen die zum Losschlagen bereiten Polizeieinheiten. Diese sollen den von der Orissa-Regierung beschlossenen und von der Zentralregierung in Delhi abgesegneten »Landerwerb« für das südkoreanische Unternehmen durchsetzen. Bislang konnten sie dieses Vorhaben nicht verwirklichen, obwohl sie einige Plantagen verwüsteten. Die Konfrontation geht weiter, denn der Polizeieinsatz ist zwar verschoben, aber nicht aufgehoben. Die Ordnungshüter warnten wiederholt, jede Art von Widerstand zu brechen.

Am Wochenende (18./19. Juni) hatte sich der prominente Sozialaktivist Swami Agnivesh in Gobindpur mit den Protestierenden solidarisiert, die Einstellung der Zwangsenteignung gefordert und Orissas Chefminister Naveen Patnaik zum Verhandeln aufgerufen. In Orissas Hauptstadt Bhubaneswar kam es zu vom Sozialistischen Einheitszentrum Indiens (Kommunistisch) organisierten Solidaritätsbekundungen. Die Basis des Widerstands erweitert sich.

In der Woche zuvor hatte sich Umweltminister Jairam Ramesh mit einer Stellungnahme eingeschaltet und die Regierung in Orissa gemahnt, Gewalt sei nicht der Weg, eine Krise zu lösen. Land sollte nur mit »friedlichen und legalen Mitteln« erworben werden.

Rameshs Ministerium erteilte im Mai mit einigen Auflagen dem Projekt seinen Segen und trägt nach Meinung der PPSS Mitschuld an dem Konflikt. Sie spricht von »legalisiertem Raub nationaler Ressourcen«. Der Genehmigungsprozeß sei fehlerhaft und betrügerisch gewesen, und er habe grob das Forstschutzgesetz verletzt. Die Entscheidungen der Gemeinderäte, die einmütig gegen das Projekt ausfielen, seien mißachtet worden. Für Indien werfe das Industrieprojekt nichts ab, außer ruinierten Existenzen von 50000 Menschen und einem zerstörten ökologischen Gleichgewicht in Wald- und Küstenabschnitten Orissas.

POSCO braucht Land für einen Stahlwerkskomplex, ein Kohlekraftwerk, einen eigenen Hafen, eine Eisenerzmine, eine Eisenbahnlinie, Straßen und für eine Siedlung. Es handelt sich mit zwölf Milliarden Dollar um die umfangreichste Auslandsdirektinvestition in Indien. Delhi mißt dem Vorhaben »strategische Bedeutung« zu, wohl weil es damit Investoren seine Großzügigkeit demonstrieren will. Dem Konzern wurde die Eisenerzmine auf 30 Jahre geleast. 30 Prozent des begehrten Rohstoffs darf er direkt exportieren und damit enorme Profite machen.

Die Bewohner etlicher Dörfer in der Region wehren sich seit 2005 gegen diese Form der Industrialisierung, deren Leidtragende sie sein werden. »Alle Entscheidungen der Regierung sind so getroffen worden, daß Posco maximalen Nutzen zieht. Die lokale Bevölkerung bekommt nichts.« Das erklärte Shankar Gopalakrishnan von der »Kampagne Überleben und Würde« auf einem Protestmeeting in Delhi. Kavita Krishnan von der KPI (ML) bezeichnete den Widerstand in Jagatsinghpur als Beispiel, wie sich immer mehr Menschen gegen den korporativen Raub der Ressourcen zur Wehr setzen. Minister Ramesh machte noch einmal deutlich, daß seine Genehmigung nicht dazu mißbraucht werden sollte, »andere Kämpfe auszufechten, die mit so wichtigen Fragen zusammenhängen wie Landerwerb, Entschädigung und Existenzgrundlage«. Aber darauf basiert das ganze POSCO-Projekt.Ashok Rajput, Neu-Delhi

* Aus: junge Welt, 21. Juni 2011


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