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Team Anna will es wissen

Bürgerbewegung "Indien gegen Korruption" vor erneutem Hungerstreik

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Team Anna, die Führung der Bürgerbewegung »Indien gegen Korruption« um den betagten Sozialaktivisten und »Gan­dhianer« Anna Hazare, will es wissen. Es macht sich bereit, aus Protest gegen den von der Regierung vorgelegten Entwurf eines »zahnlosen« Gesetzes gegen Bestechung am 16. August erneut in den Hungerstreik zu treten. Zu diesem gandhitypischen Kampfmittel hatte Hazare bereits im April gegriffen und die Regierung damit zu Verhandlungen über das Verfassen eines scharfen Antikorruptionsgesetzes (Lokpal) veranlaßt. Doch bald offenbarte sich eine unüberbrückbare Kluft zwischen den Vorstellungen des Teams Anna, das radikal gegen die auf allen Ebenen grassierende Korruption vorgehen will und dafür breite Unterstützung genießt, und denen der Regierung. Die will den bestehenden Gesetzesrahmen lediglich modifizieren und hat dafür ein paar Ideen Hazares in ihren Entwurf eingebaut.

Was nun dem Parlament vorliegt, wird von der Bürgerbewegung als lächerlich unzureichend bezeichnet. Der Entwurf sei schwach und könnte sogar als »Gesetz zur Förderung oder zum Schutz von Korruption« bezeichnet werden, meinte der prominente Rechtsanwalt Prashanth Bhushan aus dem Team Anna. »Privatisierung unter dem Deckmantel von ökonomi­scher Liberalisierung bewirkt Korruption«, erklärte Bhushan und forderte als Gegenmittel eine »starke, unabhängige Agentur mit Zähnen«, eben ein Lokpal-Gremium.

Aus verschiedenen politischen Parteien kommt ähnliche Kritik. Der Generalsekretär der KP Indiens (Marxistisch), Prakash Karat, sprach von einem »sehr schwachen Lokpal-Entwurf ohne effektive Machtbefugnisse«. Er unterstrich, daß die »politischen Rahmenbedingungen unter dem neoliberalen Regime Korruption auf höchster Ebene hervorrufen und erhalten«.

Der Wirtschaftswissenschaftler Prabhat Patnaik erläuterte in einem Vortrag vor der Indischen Schule für Sozialwissenschaften, daß man glaubte, mit der Hinwendung zu einem neoliberalen Regime würde man Korruption loswerden. Doch mit der Privatisierung staatlicher Unternehmen habe sich die Basis für Bestechung noch erweitert und zu den unglaublichsten Korruptionsfällen geführt. Tatsächlich scheint das Vorfeld der Commonwealth-Spiele im Herbst 2010, um nur ein spektakuläres Beispiel zu nennen, ein einziger Korruptionssumpf gewesen zu sein, wie jetzt vor Gericht immer deutlicher wird. »Daß die politische Klasse sich als Komplize bei Korruption in großem Stil betätigt«, hält Patnaik für »ziemlich gefährlich für die Demokratie«.

Ob das Team Anna mit dem am 16. August beginnenden Hungerstreik etwas bewirken kann, muß abgewartet werden. Fest steht, daß die Bewegung »Indien gegen Korruption« massenhafte Anerkennung und Zustimmung in der Bevölkerung findet. Das ergab eine gerade veröffentlichte Meinungs­umfrage zum »Zustand der Nation« am Vorabend des Tages der Unabhängigkeit, der am 15. August begangen wird. Die Mehrheit der Befragten glaubt, die Regierung gehe nicht ernst­haft gegen das Übel der Beste­chung vor und sei nicht wirklich bereit, mit der Bürgerbewegung zusammenzuarbeiten. Mehr als die Hälfte der Befragten hält die Regierung für »sehr oder ziemlich korrupt«. Am bestechlichsten seien Polizeibeamte, Behördenangestellte, Gemeinderäte, Personal an Gerichten und Parlaments­abgeordnete.

Ein ziemliches Armutszeugnis 64 Jahre nach Erringen der Unabhängigkeit.

* Aus: junge Welt, 13. August 2011


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