Hungerstreik gegen Korruption in Indien
Bürgerrechtler Anna Hazare streitet mit Gandhis Mitteln für ein wirksames Gesetz
Von Henri Rudolph, Delhi *
Seit Anfang des Monats liegt dem indischen Parlament der Entwurf eines Gesetzes gegen
Korruption vor. Die Regierung hatte es nach erbitterten Kontroversen mit Vertretern der
Zivilgesellschaft und mit politischen Parteien zu Papier gebracht. Doch es bleibt heftig umstritten.
Als der Staatsminister für Parlamentsangelegenheiten, V. Narayanasamy, den Abgeordneten vorige
Woche den Gesetzentwurf vorlegte, gingen in verschiedenen Gegenden des Landes Kopien des
Dokuments in Flammen auf. Zu der Protestaktion hatte Anna Hazare aufgerufen, ein betagter
Gandhianer, Initiator einer Bürgerbewegung für ein hartes Antikorruptionsgesetz. Hazare sah durch
den Regierungsentwurf »die Erwartungen der Bevölkerung betrogen«. Auch die rechte Indische
Volkspartei (BJP) brachte sofort ihre Bedenken vor. Und der Generalsekretär der KPI (Marxis- tisch),
Prakash Karat, stellte fest: »Das gesamte politische Rahmenwerk unter dem neoliberalen Regime
schafft selbst Korruption und erhält diese auf höchster Ebene aufrecht.«
Bestechung ist in Indien in der Tat ein verbreitetes Übel, unter dem besonders jene leiden, die kein
Geld dafür erübrigen können.
Anna Hazare kämpft seit Jahresbeginn für ein »Lokpal«, ein
unabhängiges Gremium, das der Korruption einen Riegel vorschiebt, Beschwerden der Bürger
entgegennimmt, Verdächtige überprüft und Schuldige ohne Ansehen der Person vor Gericht bringt.
Im April griff er mit einigen Gefolgsleuten zu einem Mittel aus dem historischen Widerstandsarsenal
Mahatma Gandhis: dem Hungerstreik bis zum Tod. Die Regierung geriet in Panik und bot dem
Veteranen die Bildung einer Kommission an, in der Vertreter des Staates und der Bürgerrechtler
eine gemeinsame Lokpal-Version ausarbeiten sollten. Hazare brach den Hungerstreik ab und setzte
sich an den Verhandlungstisch. Bis Anfang August sollte der Entwurf eines Antikorruptionsgesetzes
vorliegen, auf dessen Grundlage das Lokpal-Gremium zu gründen wäre.
Doch schnell offenbarten sich unüberbrückbare Gegensätze. Die Regierung wollte lediglich
bestehende – wenig wirksame – Regeln modifizieren, um das Unwesen einzudämmen. Hazare
wollte eine unabhängige Körperschaft, die der Korruption an die Wurzeln geht. Seine
Bürgerbewegung erhielt enormen Zulauf. Der prominente Yoga-Guru Baba Ramdev eröffnete im
Juni mit einer Kampagne in Delhi eine »zweite Front«, die allerdings von der Polizei zerschlagen
wurde. Unterdessen verhärteten sich die Positionen am Verhandlungstisch. Das Projekt eines
gemeinsamen Gesetzentwurfs scheiterte. Jede Seite wollte der Regierung ihre Vorstellungen in
einem eigenen Papier unterbreiten. Die sollte daraus eine Fassung machen oder die bessere
akzeptieren und dem Parlament vorlegen.
Anna Hazare blieb nicht untätig und debattierte seinen Entwurf mit politischen Parteien. Für viele
seiner Forderungen erhielt er Zustimmung. So soll daas Lokpal beispielsweise auch den
Premierminister und die höhere Gerichtsbarkeit ins Visier nehmen. Doch die Regierung ließ laut
werden, sie werde Hazares Entwurf ignorieren und nur den eigenen vors Parlament bringen. Worauf
Hazare verkündete, er werde am 16. August, 24 Stunden nach dem Unabhängigkeitstag, mit großer
Gefolgschaft wieder in den Hungerstreik treten. Die Regierung veranlasste inzwischen die Polizei in
Delhi, Aktionen der Bürgerbewegung zu verhindern. Das Thema Korruption wird die Öffentlichkeit demnach so oder so weiter beschäftigen.
* Aus: Neues Deutschland, 9. August 2011
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