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Sortierung nach Kasten

Indische Regierung will bei Volkszählung auch Zugehörigkeit zur Gesellschaftsschicht erfassen

Von Ranjit Devraj, Neu-Delhi (IPS) *

In Indien hat die von der Kongreßpartei geführte Regierungskoalition mit der Forderung, bei der laufenden Volkszählung auch die Kastenzugehörigkeit der Bürger zu erfassen, eine heftige Kontroverse ausgelöst. Seit 1931 hat das Kastenwesen bei Volkszählungen auf dem Subkontinent keine Rolle mehr gespielt. Auch verbietet die 1950 verabschiedete Verfassung eine auf das Kastenwesen beruhende Diskriminierung. Doch im gesellschaftlichen und politischen Alltag Indiens hat diese Hierarchie mit den Priestern (Brahmanen) an der Spitze und den Handwerkern und Tagelöhnern (Shudras) am unteren Ende der Skala bis heute große Bedeutung. Das gilt vor allem für die ländlichen Regionen, in denen etwa 70 Prozent der rund 1,2 Milliarden Inder leben. Die meisten Ehen finden nach wie vor unter Mitgliedern derselben Kaste statt, und die Zeitungen veröffentlichen Heiratsanzeigen nach Kasten getrennt. Junge Paare, die sich dieser Tradition widersetzen, droht die gesellschaftliche Ächtung.

Zu den erklärten Gegnern der Erfassung der Kastenzugehörigkeit gehört die Gruppe »Sabal Bharat« (Starkes Indien), in der sich einflußreiche Persönlichkeiten zusammengeschlossen haben. Die Organisation fordert, den Plan der Regierung zumindest so lange zu verschieben, bis er von einem Parlamentsausschuß aus Vertretern aller Parteien geprüft worden ist. Meinungen von Juristen, Demographen, Politikern und Wissenschaftlern sollten dabei berücksichtigt werden. Mit der Angelegenheit dürfe sich nicht nur eine kleine Gruppe von Politikern befassen, die zur Zeit im Parlament das Sagen hätten, erklärte der Gründer von Sabal Bharat, Ved Prasad Vaidik, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur IPS. Die Folgen würden schließlich auch kommende Generationen betreffen. Den großen Parteien gehe es im Moment aber nur darum, sich die Unterstützung vieler Wähler zu sichern.

Einige Parteien machen sich diese Form der sozialen Diskriminierung jedoch politisch zunutze. In einigen Regionen identifizieren sie sich gar mit bestimmten Kasten. So sprechen die Samajwadi- Partei (SP) aus dem nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh und die Partei Rashtriya Janata Dal (RJD) im östlichen Staat Bihar jeweils gezielt Mitglieder der Yadav-Kaste an, der vorwiegend Bauern angehören. Beide Parteien gehören zu den vehementen Befürwortern einer Erfassung der Kasten und werfen der Regierung sogar vor, ihr Vorhaben zu zögerlich voranzutreiben. Die Kongreßpartei und ihre stärkste Rivalin, die hindu-nationalistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP), verfügen bislang über keine nennenswerte Unterstützung in Uttar Pradesh und Bihar, wo insgesamt 273 Millionen Menschen leben. Umso nötiger brauchen sie den Rückhalt der SP und RJD, was ihnen dort Zugang zu neuen Wählergruppen eröffnen könnte.

* Aus: junge Welt, 20. August 2010

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