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In Indien lecken die Rohre

Nicht nur in Bangalore hat das Kanalisationssystem seine Schwächen

Von Keya Acharya, Bangalore (IPS) *

Einer Klage der indischen Ingenieurin Almitra Patel ist es zu verdanken, dass Bangalore inzwischen über eine Kläranlage verfügt. Doch gelöst ist das Problem der Wasserverschmutzung damit noch längst nicht.

Vor etwa 16 Jahren hörten die Frösche in den Sümpfen nahe ihres Landhauses auf zu quaken. Da wusste die indische Ingenieurin Almitra Patel, dass irgendetwas nicht stimmte. Was das war, fand sie bald heraus: Abwässer und Müll, die in den Feuchtgebieten vor den Toren der IT-Metropole Bangalore entsorgt worden waren, hatten die Tiere getötet. Patel wandte sich noch im gleichen Jahr – 1996 – an den Obersten Gerichtshof, um die Stadtverwaltung von Bangalore zu einem sicheren Umgang mit den Abfällen zu zwingen. Untersuchungen ergaben damals, dass weniger als die Hälfte der in Bangalore anfallenden Abwässer in modernen Anlagen geklärt wurde. Der Rest landete in den umliegenden Seen und Feuchtgebieten. Die Ingenieurin gewann den Prozess, und inzwischen verfügt Bangalore über eine Kläranlage. Doch die Situation hat sich nicht grundlegend verbessert.

»Die Sümpfe im Umkreis von Bangalore haben sich durch die Abwässer in eine stinkende schwarze Brühe verwandelt. Die Abwässer fließen durch einen offenen Kanal durch dichtbewohnte Gebiete zu der teuren Kläranlage, die viel Strom frisst«, kritisiert Patel, die mittlerweile 75 Jahre alt ist.

Beeindruckt von ihrer Arbeit hatte das Gericht Patel in einen Ausschuss für Müll-Management berufen, der über den landesweiten Umgang mit Abfällen Bericht erstatten und Gegenmaßnahmen anregen sollte. Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen definierte Indien im Jahr 2000 schließlich eine Strategie zur Behandlung von festen Abfällen. Alle Städte wurden dazu verpflichtet, umfassende Programme zur Müllverwertung einzuführen. Dazu gehörte die Abfalltrennung in den Haushalten, Recycling und Kompostieren. Doch all diese Programme warten bis heute auf ihre Umsetzung.

Die Energiebehörde in Delhi schätzt, dass sich das Müllaufkommen in den indischen Städten bis 2047 auf 260 Millionen Tonnen jährlich verfünffachen wird. Die Stadtverwaltung von Bangalore sammelte kürzlich Gelder, um die belasteten Feuchtgebiete zu säubern und für die Zukunft zu erhalten. Während es 1962 noch 262 solcher Sumpfareale gab, sind es heute nur noch 17. Die bebauten Flächen haben sich laut einer Studie des Indischen Wissenschaftsinstituts im gleichen Zeitraum um 466 Prozent ausgedehnt.

»Die Städte sammeln Gelder, um die Klärwerke zu bauen. Die Finanzmittel reichen aber nicht aus, die hohen anfallenden Stromrechnungen zu bezahlen oder die notwendige Infrastruktur zu schaffen, um die Abwässer zu den Anlagen zu schaffen, von denen die meisten ohnehin nicht funktionieren «, gibt Patel zu bedenken.

Der Weltgesundheitsorganisation zufolge haben mehr als 87 Prozent der Einwohner indischer Städte und 33 Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten Zugang zu Toiletten. Doch lecke Rohre und unvollständige Kanalisationssysteme sorgen dafür, dass die Flüsse und Seen weiterhin verschmutzen. Zurzeit leben etwa 340 Millionen der mehr als 1,2 Milliarden Inder in Städten. Bis 2030 wird sich die Zahl den Prognosen zufolge verdoppelt haben. Das bedeutet einen gewaltigen Anstieg der Abwassermengen. Auch die Versorgung mit Trinkwasser wäre gefährdet, das schon jetzt in vielen Städten knapp ist. Die alten Wasser- und Kanalisationssysteme können mit dem Wachstum der indischen Städte nicht Schritt halten. Das hat dazu geführt, dass sie in einigen Teilen erst gar nicht vorhanden sind. Trinkwasserleitungen und Kanalisationssysteme führen zumeist zu den Vierteln der Wohlhabenden, während die Armen das Nachsehen haben. Nur fünf Prozent des Leitungswassers kommen in den Slums von 42 un- Sauberes Trinkwasser ist in Bangalore ein gefragtes Gut.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. August 2012

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