Diabolisches Spiel in Malegaon
Attentat schürt Zwietracht zwischen Indiens Hindus und Muslimen
Von Hilmar König, Delhi *
Ganz Indien ist erregt über den Terroranschlag, bei dem in Malegaon im Bundesstaat Maharashtra
31 Menschen starben und 277 verletzt wurden. Von den Tätern fehlt jede Spur.
Die zehn Jahre alte Shenaz war zum Freitagsgebet mit ihrer Mutter in der Rehmani-Moschee
gewesen und befand sich auf dem Weg zum Friedhof Bada Kabrastan. Beide wollten am Grab des
Vaters Blumen niederlegen, denn es war Shab-e-Baraat, der islamische Feiertag, an dem man den
Toten Respekt erweist. Da explodierte mitten in der Prozession der Gläubigen ein Sprengsatz, der in
einer Blechbüchse auf einem am Straßenrand abgestellten Fahrrad versteckt war. Die Metallsplitter
flogen wie Geschosse durch die Luft, töteten zehn Kinder, sechs Frauen und 15 Männer. Unter den
Toten war Shenaz' Mutter.
Die Polizei und etliche Spezialteams von Untersuchungsbehörden fanden bis Sonntag noch keine
heiße Spur. Umgerechnet 8500 Euro Belohnung wurden für zweckdienliche Informationen
ausgesetzt. V. K. Duggal, Staatssekretär im Innenministerium, sprach lediglich von einer
»Verschwörung mit einer größeren Dimension, obwohl es sich um vor Ort fabrizierte Sprengkörper
gehandelt habe. Anlass zu dieser Vermutung gibt der Zeitpunkt der Anschläge – kurz vor dem 5.
Jahrestag des 11. September in den USA, wenige Tage vor der Urteilsverkündung im Prozess der
Attentäter der Mumbai-Bombenserie von 1993 und im Vorfeld eines Treffens zwischen Indiens
Premier Manmohan Singh und Pakistans Präsident General Pervez Musharraf auf dem Blockfreien-
Gipfel.
Hauptmotiv der Täter war es, so wird angenommen, Zwietracht zwischen Hindus und Muslimen zu
schüren und blutige Zusammenstöße zu provozieren. Maharash-tras Polizeigeneraldirektor P.S.
Pasricha erklärte: »Die Terroristen verfolgen zwei Ziele. Sie wollen die Wirtschaft des Bundesstaates
schädigen und religiöse Leidenschaften anheizen.« Zu einer ähnlichen Einschätzung kam das
Politbüro der KPI (Marxistisch): »Die Sprengsätze deuten auf einen diabolischen Versuch hin,
religiöse Spannungen zu schaffen und Gewalt zu provozieren.« Vor diesem Hintergrund riefen nicht
nur die indische Regierung, sondern auch Organisationen wie Jamaat-e-Islami Hind und All-India
Muslim Majlis-e-Musdhawarat die Einwohner Malegaons zur Einhaltung von Ruhe und Ordnung auf.
Im Visier der Ermittler befindet sich neben der Islamischen Studentenbewegung SIMI, der militanten
Organisation Lashkar-e-Taiba, auch die radikale hinduistische Bajrang Dal, der bereits Anschläge
auf Moscheen in Porna, Jalna, Parbhani und Nagpur zugeschrieben werden. Im April kamen in
Nanded vier Bajrang-Aktivisten beim Basteln an einer Bombe ums Leben. Untersucht wird auch, ob
Querverbindungen zu den Anschlägen vom 11. Juli auf Vorortzüge in Mumbai bestehen, bei denen
nahezu 200 Menschen den Tod fanden.
Das als Stadt der Weber bekannte Malegaon mit seiner mehrheitlich islamischen Bevölkerung gilt
beim indischen Sicherheitsapparat als »sensitives« Areal, weil es hier wiederholt Ausschreitungen
gab. 1963 war es zu schweren Zusammenstößen gekommen, als ein hinduistisches und ein
islamisches Fest auf den gleichen Tag fielen und beide Prozessionen aneinandergerieten. 1992,
nach der Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya durch Hindu-Fanatiker, gab es in Malegaon
blutige Unruhen, ebenso nach dem 11. September 2001, als hier Demonstranten öffentlich
Sympathie für Osama bin Laden bekundeten und gegen das Eingreifen der USA in Afghanistan
protestierten.
Die Stadt, von dem Fluss Mausam, der einer Kloake gleicht, in muslimisches und hinduistisches
Gebiet geteilt, weist eine miserable Infrastruktur auf.
Beim Besuch von Innenminister Shivraj Patil und Kongressparteipräsidentin Sonia Gandhi lehnten
deshalb die Bürger die angebotene Geldsumme von umgerechnet 450 Euro als Trostpflaster für den
Verlust von Angehörigen ab und verlangten, die Regierung möge der Entwicklung der Stadt mehr
Aufmerksamkeit widmen.
* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2006
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