Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Indische Todesschwadronen sind verfassungswidrig

Oberster Gerichtshof weist die Gewaltstrategie des Staates gegen die maoistische Guerilla in juristische Schranken

Von Henri Rudolph, Delhi *

Das Höchste Gericht Indiens hat im Zusammenhang mit der seit Jahren in verschiedenen Landesteilen tobenden maoistischen Rebellion ein einschneidendes Urteil gefällt.

Der Gerichtsspruch erklärte die von der Regierung des Unionsstaates Chhattisgarh gebildeten und von der Zentralregierung in Delhi abgesegneten Todesschwadronen Salwa Judum und Koya Kommandos für verfassungswidrig. Diese werden in vorderster Front gegen die Guerilla der illegalen KPI (Maoistisch) eingesetzt.

Das Urteil bezieht sich vor allem auf den Einsatz von etwa 5000 »Spezialpolizeibeamten« (SPO), die die Polizei Chhattisgarhs unter überwiegend analphabetischen jugendlichen Stammesangehörigen rekrutiert, sie bewaffnet, notdürftig ausbildet und dann in die Kampfgebiete schickt, wo sie verheizt werden. Die Todesrate bei den SPO ist laut Gericht fünfmal höher als bei normalem Sicherheitspersonal. Chhattisgarhs Polizei argumentiert, die SPO seien ein wesentlicher Teil ihrer antimaoistischen Kampfstrategie.

Doch Bürgerrechtler klagen seit langem, dass die vom Staat eingesetzten Todesschwadronen längst das Gesetz in die eigenen Hände genommen haben und willkürlich Terror und Gewalt ausüben, vornehmlich gegen ihre schutzlosen Stammesbrüder. Allein im März brannte eine SPO-Kompanie in der Region Dantewada 300 Behausungen ab, tötete drei Männer und vergewaltigte Frauen. Bereits im Jahre 2007 ging beim Höchsten Gericht eine Petition ein, in der SPO-Kommandos für 500 Morde, 99 Vergewaltigungen und 103 Brandschatzungen verantwortlich gemacht wurden.

Die Richter wiesen an, die SPO sofort zu entwaffnen, die Rekrutierung einzustellen und die Kommandos aufzulösen. Dieser Prozess hat in Chhattisgarh inzwischen begonnen, obwohl die dortige und die Regierung in Delhi Einspruch gegen das Urteil angekündigt haben. Der Gerichtshof bestätigte in seiner Begründung die von der maoistischen Rebellion ausgehende Gefahr für die innere Sicherheit. Aber der Staat dürfe das nicht mit »gesetzloser Gegengewalt« beantworten, die den blutigen Konflikt nur ausdehne und verschärfe. Die SPO, ob unter den Namen Salwa Judum oder Koya Kommandos firmierend, seien zum Hauptinstrument dieser verfassungswidrigen und fehlgeschlagenen Gegenstrategie des Staates geworden.

Die Richter machten deutlich, dass auch die rebellierenden Maoisten, die nach eigenen Angaben für soziale Gerechtigkeit insbesondere der Millionen diskriminierten Stammesangehörigen kämpfen, außerhalb des Gesetzes agieren. Doch der Kampf gegen sie könne nicht als reines Problem von Recht und Ordnung betrachtet und geführt werden. »Das ursächliche Problem wurzelt tief in der vom Staat verfolgten sozialökonomischen Politik gegenüber einer Gesellschaft, die endemisch und entsetzlich an starken Ungleichheiten leidet.« So zitierte die Zeitung »The Hindu« aus dem Urteil. Dieser Kurs nähre die Unzufriedenheit unter den armen Adivasi (Ureinwohnern) und fache die Rebellion an. Das SPO-System sei ein ungesetzliches Produkt einer Ordnung, »die nichts Falsches darin sieht, den Reichen Steuererleichterungen zu gewähren und die Armen mit Waffen zu beliefern, damit sie gegeneinander kämpfen.«

Die illegale KPI (Maoistisch) reagierte auf das Urteil mit einem Appell an alle SPO, sich rehabilitieren zu lassen, in die Stammesdörfer zurückzukehren, sich zu ihrer Schuld zu bekennen und alle Verbindungen zum staatlichen Machtapparat abzubrechen. Die Maoisten würden sie amnestieren und in den von ihnen kontrollierten Gebieten eine Existenzgrundlage schaffen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2011


Zurück zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage