Indische Todesschwadronen sind verfassungswidrig
Oberster Gerichtshof weist die Gewaltstrategie des Staates gegen die maoistische Guerilla in juristische Schranken
Von Henri Rudolph, Delhi *
Das Höchste Gericht Indiens hat im Zusammenhang mit der seit Jahren in verschiedenen
Landesteilen tobenden maoistischen Rebellion ein einschneidendes Urteil gefällt.
Der Gerichtsspruch erklärte die von der Regierung des Unionsstaates Chhattisgarh gebildeten und
von der Zentralregierung in Delhi abgesegneten Todesschwadronen Salwa Judum und Koya
Kommandos für verfassungswidrig. Diese werden in vorderster Front gegen die Guerilla der illegalen
KPI (Maoistisch) eingesetzt.
Das Urteil bezieht sich vor allem auf den Einsatz von etwa 5000 »Spezialpolizeibeamten« (SPO), die
die Polizei Chhattisgarhs unter überwiegend analphabetischen jugendlichen Stammesangehörigen
rekrutiert, sie bewaffnet, notdürftig ausbildet und dann in die Kampfgebiete schickt, wo sie verheizt
werden. Die Todesrate bei den SPO ist laut Gericht fünfmal höher als bei normalem
Sicherheitspersonal. Chhattisgarhs Polizei argumentiert, die SPO seien ein wesentlicher Teil ihrer
antimaoistischen Kampfstrategie.
Doch Bürgerrechtler klagen seit langem, dass die vom Staat eingesetzten Todesschwadronen längst
das Gesetz in die eigenen Hände genommen haben und willkürlich Terror und Gewalt ausüben,
vornehmlich gegen ihre schutzlosen Stammesbrüder. Allein im März brannte eine SPO-Kompanie in
der Region Dantewada 300 Behausungen ab, tötete drei Männer und vergewaltigte Frauen. Bereits
im Jahre 2007 ging beim Höchsten Gericht eine Petition ein, in der SPO-Kommandos für 500 Morde,
99 Vergewaltigungen und 103 Brandschatzungen verantwortlich gemacht wurden.
Die Richter wiesen an, die SPO sofort zu entwaffnen, die Rekrutierung einzustellen und die
Kommandos aufzulösen. Dieser Prozess hat in Chhattisgarh inzwischen begonnen, obwohl die
dortige und die Regierung in Delhi Einspruch gegen das Urteil angekündigt haben. Der Gerichtshof
bestätigte in seiner Begründung die von der maoistischen Rebellion ausgehende Gefahr für die
innere Sicherheit. Aber der Staat dürfe das nicht mit »gesetzloser Gegengewalt« beantworten, die
den blutigen Konflikt nur ausdehne und verschärfe. Die SPO, ob unter den Namen Salwa Judum
oder Koya Kommandos firmierend, seien zum Hauptinstrument dieser verfassungswidrigen und
fehlgeschlagenen Gegenstrategie des Staates geworden.
Die Richter machten deutlich, dass auch die rebellierenden Maoisten, die nach eigenen Angaben für
soziale Gerechtigkeit insbesondere der Millionen diskriminierten Stammesangehörigen kämpfen,
außerhalb des Gesetzes agieren. Doch der Kampf gegen sie könne nicht als reines Problem von
Recht und Ordnung betrachtet und geführt werden. »Das ursächliche Problem wurzelt tief in der vom
Staat verfolgten sozialökonomischen Politik gegenüber einer Gesellschaft, die endemisch und
entsetzlich an starken Ungleichheiten leidet.« So zitierte die Zeitung »The Hindu« aus dem Urteil.
Dieser Kurs nähre die Unzufriedenheit unter den armen Adivasi (Ureinwohnern) und fache die
Rebellion an. Das SPO-System sei ein ungesetzliches Produkt einer Ordnung, »die nichts Falsches
darin sieht, den Reichen Steuererleichterungen zu gewähren und die Armen mit Waffen zu beliefern,
damit sie gegeneinander kämpfen.«
Die illegale KPI (Maoistisch) reagierte auf das Urteil mit einem Appell an alle SPO, sich rehabilitieren
zu lassen, in die Stammesdörfer zurückzukehren, sich zu ihrer Schuld zu bekennen und alle
Verbindungen zum staatlichen Machtapparat abzubrechen. Die Maoisten würden sie amnestieren
und in den von ihnen kontrollierten Gebieten eine Existenzgrundlage schaffen.
* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2011
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