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Indien sichert Generikaproduktion

Trotz Freihandelsabkommen mit EU bleibt Macht der westlichen Pharmariesen beschränkt

Von Ranjit Devraj, IPS *

Indien wird sich im Rahmen seines Freihandelsabkommens mit der EU nach eigenen Angaben nicht auf Datenexklusivitätsklauseln zugunsten großer Pharmakonzerne einlassen. Hilfsorganisationen warnen jedoch, daß die Gefahr, die das Vertragswerk für die Versorgung der armen Länder mit preiswerten Nachahmermedikamenten (Generika) darstellt, damit noch längst nicht gebannt sei.

Wie Indiens Handelsminister Anand Sharma auf einem Treffen mit Michel Sidibe vom HIV/Aids-Programm des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) am 6. Juli in Neu-Delhi versicherte, wird seine Regierung dafür sorgen, daß die qualitativ hochwertigen Generika einschließlich die anti-retroviralen Aids-Medikamente auch weiterhin allen Ländern zugänglich sind.

Die EU insistiert auf Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, die über die Forderungen internationaler Handelsverträge hinausgehen. Dazu gehört auch die Datenexklusivität im Zulassungsverfahren. Sie wirkt wie ein Patentschutz für die Medikamente großer Pharmakonzerne und würde selbst denjenigen Generika den Zugang zum Markt versperren, für die gar kein Patenschutz gilt. Indien wird jedoch nach eigenen Angaben auf die Flexibilitäten bestehen, wie sie im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) vorgesehen sind. Man werde sich auf keine Sonderklauseln einlassen, die über die WTO-TRIPS-Auflagen hinausgingen, sagte Sachin Chaturvedi, leitender Wissenschaftler des Research and Information System (RIS) für die Entwicklungsländer, einer staatlich finanzierten Denkfabrik zur Förderung der Süd-Süd-Zusammenarbeit.

Nach dem Treffen mit Sharma empfahl Sidibe den sogenannten BRICS-Ländern Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika, eine Allianz mit anderen einkommensstarken Ländern zu schmieden, um sicherzustellen, daß weltweit niemand sterben müsse, nur weil er sich die lebenswichtigen Medikamente nicht leisten könne. Chaturvedi zufolge sollten die BRICS-Staaten bezahlbare Medikamente vor allem gegen diejenigen Infektionskrankheiten produzieren, die in Entwicklungsländern verbreitet sind.

Indiens Generika-Unternehmen gehören zu den internationalen Marktführern. »Millionen Menschen werden sterben, sollte Indien keine preiswerten generischen anti-retroviralen Medikamente mehr herstellen dürfen«, warnte Sidibe.

»Die Datenexklusivität würde die Herstellung und den Verkauf bezahlbarer Generika abblocken. Sie würde großen Pharmakonzernen durch die Hintertür zu einem Monopol auf Medikamente verhelfen, die nach indischem Gesetz keinem Patentrecht unterliegen«, sagte Leena Menghaney, Anwältin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.

»Soweit wir unterrichtet sind, wird die EU nicht länger auf Datenexklusivität drängen«, betonte sie. Das sei auf die Proteste der letzten Monate zurückzuführen. Auch die WTO, die UN-Aids-organisation UNAIDS und der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hatten in dieser Frage ihr Gewicht in die Waagschale geworfen.

Doch Menghaney zufolge beharrt die EU auf Bestimmungen, die die Produktion und Ausfuhr bezahlbarer Generika behindern könnte. In diesem Zusammenhang verwies sie auf Umsetzungsbestimmungen, die erlauben, Nachahmermedikamente zu beschlagnahmen und gegen Personen vorzugehen, die mit ihnen zu tun haben. Darüber hinaus geben die vorgesehenen Investitionsauflagen Anlaß zur Sorge. Sie würden in Indien operierenden EU-Unternehmen erlauben, den indischen Staat aufgrund von Gesetzen zu verklagen, die sich negativ auf ihre Profite auswirken. Menghaney zufolge werden sich Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen sämtlichen EU-Richtlinien widersetzen, die den Zugriff auf preiswerte Medikamente verhindern.

Indien hatte 1979 Patente auf Medikamente abgeschafft und damit begonnen, eine eigene einflußreiche Pharmaindustrie aufzubauen. Der Erfolg hat dem Subkontinent den Namen »Apotheke der Welt« eingebracht.

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2011


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