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Letzte Hoffnung für Mutter Ganga

Großprojekt soll Indiens größten Strom vor Verschmutzung retten

Von Thomas Berger *

Der Ganges mit seinen Zuflüssen ist Lebensader für eine halbe Milliarde Menschen. Zugleich zählt Indiens größter Strom zu den zehn am stärksten verschmutzten weltweit. Ein milliardenschweres Maßnahmepaket soll ihn nun retten.

Über 2500 Kilometer schlängelt sich Ganga Maa, »Mutter Ganga«, quer durch die nordindische Ebene. 40 Prozent der Bevölkerung des Subkontinents leben in seinem Einzugsgebiet, und eine besondere Bedeutung hat er für alle gläubigen Hindus in ganz Indien. Aus den entferntesten Ecken des Landes kommen Pilger, das als heilig erachtete Gangeswasser wird in kleinen Flaschen für Verwandte bis nach Mumbai (Bombay) oder Bangalore mitgenommen.

Fäkalien, industrielle Abwässer, Pestizidrückstände aus der Landwirtschaft, tote Körper von Mensch und Tier – all das blenden jene aus, die allmorgendlich im Fluss baden. Schon vor einem Vierteljahrhundert hatte das Problem dramatische Ausmaße erreicht, weshalb der damalige Premier Rajiv Gandhi 1985 den Ganges-Aktionsplan (GAP) auflegte. Wenn schon die Rückkehr zu Trinkwasserqualität bereits damals unrealistisch erschien, sollte der Fluss wenigstens die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Baden wieder unterschreiten. Trotz Ausgaben von mindestens 200 Millionen Dollar in den folgenden 15 Jahren ist der Ganges heute schlimmer dran als je zuvor.

Ungezählte Aktivisten versuchen seit Jahren, die alarmierenden Daten zu erfassen, Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung zu leisten, bei Politik und Verwaltung Druck zu machen. Zu ihnen gehört auch der mittlerweile 71-jährige Veer Badhra Mishra. Er ist in Erfüllung einer 500 Jahre währenden Familientradition Vorsteher des namhaften Sankat Mochan Tempels, der dem Affengott Hanuman geweiht ist. Doch nicht nur aus religiöser Sicht treibt ihn die Verschmutzung des Ganges um – er ist zugleich Ingenieur, kennt das Problem auch von der wissenschaftlich-technischen Seite.

Gemeinsam mit anderen hat der Oberpriester 1982 die Sankat Mochan Foundation (SMF) gegründet, eine von mehreren Organisationen, die den Ganges retten wollen, und im Folgejahr eine großangelegte Aufklärungskampagne gestartet. Dass im Rahmen des aktuellen Großprojektes jetzt effektivere Maßnahmen zur Abwasserbehandlung eingesetzt werden sollen, wie er sie schon lange angeregt hat, ist ein später Triumph. Allerdings jubeln die Aktivisten erst, wenn es wirklich soweit ist: Zu viel Geld ist früher schon durch Inkompetenz, Korruption und Fehlplanung versickert, ohne dass das Ziel erreicht wurde. Diesmal gibt es immerhin berechtigte Hoffnung: Die nationale Regierung, die den größten Packen schultert, und betroffene Unionsstaaten teilen sich die Gesamtkosten von etwa vier Milliarden Euro. Bis 2020 soll damit sichergestellt werden, dass keine ungeklärten Abwässer mehr in den Fluss gelangen – nirgendwo. Damit würde der Ganges von 95 Prozent seiner Schadstoffeinleitungen befreit.

Nach der Auflage des Pakets Ende 2009 hat das Kabinett im April nun die letzten formalen Hürden zur Umsetzung beseitigt. Auch die Bewilligung der Weltbank für ihren Anteil, ein Darlehen von einer Milliarde Dollar, liegt vor. Die nächsten fünf Jahre müssten zum Wendepunkt werden, meint nicht nur Mishra. Es geht um die Menschen am Flusslauf, die immer häufiger von Krankheiten infolge kontaminierten Wassers leiden. Aber auch die Rettung vom Aussterben bedrohter Arten wie dem fast verschwundenen Ganges-Delphin. Das Maßnahmepaket setzt auf drei Säulen: Verhinderung oder Aufbereitung von Abwässern, verstärkte Kontrollmechanismen und Aufklärung der Bevölkerung.

Informationen im Internet: www.sankatmochan-foundationonline.org, www.indiawaterportal.org

* Aus: Neues Deutschland, 30. Mai 2011


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