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Der Nachfolger

Indien: Kongreßpartei krönt Rahul Gandhi zum Vizechef. "Dynastie-Demokratie" soll weitergehen

Von Hilmar König *

Auf der Klausurtagung des Indian National Congress, der Kongreßpartei, in Jaipur ist am vergangenen Wochenende Rahul Gandhi zum Vizevorsitzenden der mit weit über 100 Jahren ältesten politischen Formation des Landes gekürt worden. Bislang fungierte er als einer der Generalsekretäre der Partei, die von seiner Mutter Sonia Gandhi geführt wird. Die Medien sind sich einig, daß der 42jährige mit dieser »Krönung« der Spitzenkandidat für den Posten des Premiers bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr sein wird. Endlich einmal ein junger Mann, so der Tenor der Berichterstattung.

Der Junggeselle, der während und nach seiner Studienzeit mit einer Kolumbianerin liiert war, will frischen Wind in die politische Landschaft bringen. In seiner 40 Minuten dauernden, teils sehr emotionalen Rede vor 1200 Teilnehmern forderte er einen politischen Stilwechsel. Das gelte auch für seine Partei, die von Korruptionsskandalen zerfressen und in den Führungsgremien überaltert ist. Premier Manmohan Singh beispielsweise hat die 80 überschritten. Rahul will junge, engagierte Kader ins Boot holen, 40 bis 50 Leute, die das Land regieren können und fünf bis zehn »Macher« mit klaren Vorstellungen in jedem Bundesstaat.

Mit Blick auf die Parlamentswahlen 2014 hofierte er einerseits die prosperierende Mittelklasse und andererseits die breite Schicht jener, die ohne Privile­gien sind, täglich ums Überleben kämpfen, von den Wirtschaftsreformen wenig oder gar nicht profitieren und denen wegen geringer Bildungsmöglichkeiten die Zukunft verbaut ist. Sie alle sollen für die Kongreßpartei und den von ihm angekündigten Wandel stimmen. Er sei kein Neuling mehr auf der politischen Bühne, betonte Rahul Gandhi. Er habe die letzten acht Jahre viel gelernt über das Funktionieren des politischen Machtapparates. »Mit Macht kommt Verantwortung«, erklärte er unter tosendem Beifall. Er sei jedenfalls Optimist.

In den erwähnten acht Jahren verbrachte er viel Zeit an der Graswurzel­ebene, übernachtete gar in den Hütten von kastenlosen Familien (Dalits), wollte die Lebensbedingungen des einfachen Mannes, des »Aam Aadmi«, kennenlernen. Er studierte die Parteistrukturen vor Ort. So kam er zu der Schlußfolgerung der »Systemtransformation«, was bestimmt nicht bedeutet, den kapitalistischen Wirtschaftskurs aufzugeben. Einen in dieser Zeit angebotenen Ministerposten lehnte Rahul ab, schickte aber ein paar Jugendfreunde ins Kabinett. Wirkliche Verantwortung trug er bis dato nicht. In die Politik kam er weniger aus eigener Überzeugung als vielmehr auf sanften, aber steten Druck seitens seiner Mutter und der alten Kongreßparteiriege, die stets Nutzen aus der Herrschaft der Nehru-Gandhi-Dynastie zog.

Die Fortsetzung dieser »Dynastie-Demokratie« kreiden ihm die Kritiker am meisten an. Die Ovationen während der Klausur und der anschließende Autokorso in Jaipur seien bloßes Theater gewesen, auf praktische Verdienste in seiner politischen Karriere könne der »Wandler« noch nicht verweisen. Außerdem habe er keine Stellung zu wichtigen nationalen Themen und Problemen bezogen. Zum Beispiel beteiligte er sich auch nicht an der Debatte und den Protesten nach der tödlichen Vergewaltigung von Jyoti Singh Pandey im vergangenen Dezember.

Wahrscheinlich ist, daß Rahul Gandhi als Premierkandidat einen harten Brocken aus dem oppositionellen Lager vorgesetzt bekommen wird: Narendra Modi von der rechten Indischen Volkspartei (BJP). Kürzlich erst gewann dieser zum dritten Mal in Folge die Wahlen zur Volksvertretung im Bundesstaat Gujarat. Ihm hängt zwar der Makel an, bei den Massakern im Februar 2002 gegen die muslimische Minderheit weggeschaut, wenn nicht gar die Fäden gezogen zu haben. Doch sein autoritärer Stil als Chefminister Gujarats und seine Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung machen ihn interessant für Indiens Mittelklasse. Der junge Gandhi würde auf einen mit allen Wassern gewaschenen alten Hasen treffen – mit ungewissem Ausgang.

* Aus: junge Welt, Freitag, 25. Januar 2013


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