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"Mein Leben ist meine Botschaft"

Vor 140 Jahren wurde Mahatma Gandhi geboren / Seine Sozialethik ist von brennender Aktualität

Von Hartmut Kegler *

» ... ein Mann, welcher der Brutalität Europas die Würde des schlichten Menschenwesens gegenüberstellte und sich so alle Male als überlegen erwies.« Worte Albert Einsteins über eine Persönlichkeit, der ein anderer Nobelpreisträger, der indische Dichter Rabindranath Tagore, die Beifügung »Mahatma« – die große Seele – verlieh. Er selbst sagte von sich: »Mein Leben ist meine Botschaft.«

Mohandas Karamchand Gandhi wurde am 2. Oktober 1869, heute vor 140 Jahren, in Porbandar, einem Ort in einem kleinen westindischen Fürstentum, als Sohn eines dortigen Ministers und seiner Frau geboren.

Nach seinem Londoner Jurastudium wurde er von einem Unternehmer nach Südafrika gerufen, um ihn in einem Rechtsstreit zu vertreten. Dort selbst erfahrene Rassendiskriminierung und im heimatlichen Indien erlebte koloniale Unterdrückung ließen ihn zum Begründer von Menschenrechtsbewegungen wie dem Natal Indian Congress in Südafrika und dem Indian National Congress in Indien zum »glanzvollen Führer seines Volkes« werden, wie ihn Jawaharlal Nehru bezeichnete. Ihm verdanken diese Bewegungen auch ihre geistige Orientierung, die Gandhi in seiner Satyagraha-Strategie zusammenfasste: Die Kraft, die aus der Wahrheit entsteht und in Liebe und Gewaltlosigkeit mündet. Deren Ziel bestand hauptsächlich darin, dem Gegner kein Leid zuzufügen, sondern ihm durch eigenes, selbst ertragenes Leid die Augen zu öffnen und ihn zum Umdenken zu bewegen. Satyagraha stellte eine entschiedene, auf jeden Fall gewaltlose Form des Widerstandes dar, gegen alles Schlechte und Ungerechte gerichtet.

Gandhi war beseelt von einem Glauben, dessen vielfältige Wurzeln im altindischen Jinismus, im Buddhismus, in der Bergpredigt Jesu und nicht zuletzt im Denken und Handeln Lew Tolstois lagen. »Das Wesen der Religion ist die Moralität«, meinte er und stand damit der Ansicht Albert Schweitzers sehr nahe, für den wahre Religion zugleich wahre Menschlichkeit bedeutete. Beide stimmten auch darin überein, dass Religion das Denken nicht ausschließt, sondern voraussetzt.

Gandhis ausgeprägte Sozialethik äußerte sich auch in seinem Standpunkt, dass der Unterschied zwischen dem, was wir tun, und dem, was wir zu tun in der Lage seien, ausreichen würde, die meisten Probleme der Welt zu lösen. »Denn ein Mensch ist nur in dem Grade Mensch, in welchem er für das Wohl seiner Mitmenschen tätig ist.« Sieben soziale Sünden zählte er auf, die an Aktualität nichts verloren haben: Politik ohne Prinzipien, Reichtum ohne Arbeit, Genuss ohne Gewissen, Wissen ohne Charakter, Geschäft ohne Moral, Wissenschaft ohne Menschlichkeit, Religion ohne Opferbereitschaft.

Unermüdlich rang Gandhi um die Aussöhnung von Hindus und Muslimen, weil ihm die Einheit seiner Nation am Herzen lag: »Wir werden nur dann zu einer wirklichen Nation werden, wenn wir mehr Wahrheit als Gold vorweisen können, größere Furchtlosigkeit als Macht und Reichtum, größere Nächstenliebe als Eigenliebe.« Sein Kampf erforderte grenzenlose Opferbereitschaft. Viele Jahre verbrachte Gandhi in südafrikanischen und indischen Gefängnissen, Zuchthäusern und Zwangsarbeitslagern. Eine seiner starken Waffen bildete das Fasten, das ihn oft genug an die Grenze seiner physischen Existenz brachte, mit dem er aber auch viel für sich und seine Idee erreichte.

Eine treue Kameradin war seine Frau Kasturba, die viele Opfer brachte und Entbehrungen auf sich nahm. Gandhi verehrte sie und darüber hinaus alle Frauen sehr. Als erster politischer Führer überhaupt bezog er die Frauen in den Kampf um politische und soziale Rechte ein. »Wenn man unter Stärke moralische Kraft versteht, dann ist die Frau dem Manne weit überlegen«, sagte er. »Besitzt sie nicht die größere Intension, ist sie nicht aufopferungsvoller, hat sie nicht größere Ausdauer und größeren Mut?«

Gandhi führte sein Volk in die Freiheit. Doch Indien behielt nicht seine Einheit, sondern gelangte auf Grund der ständig wieder aufflammenden Konflikte zwischen Hindus und Muslimen mit zwei Staaten, nämlich Indien und Pakistan, in die Unabhängigkeit. Gandhi hatte resigniert, denn er hatte bis zuletzt für ein einheitliches Indien gekämpft. Als am 15. August 1947 Ministerpräsident Jawaharlal Nehru unter dem Jubel des indischen Volkes die indische Nationalfahne hisste, saß der »große Sohn Indiens« in Kalkutta in einer baufälligen Hütte fastend am Spinnrad. Sein letztes soziales Wirken galt der Gerechtigkeit gegenüber dem abgespaltenen Pakistan. Das wiederum erregte den Hass mancher unversöhnlicher Hindus.

Einer von ihnen erschoss Mahatma Gandhi am 30. Januar 1948, nachdem dieser ein öffentliches Gebet beendet hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Oktober 2009


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