Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kampf um Frequenzen

Indien und die "Segnungen" moderner Zivilisation: Mobilfunkmarkt auf dem Subkontinent wächst rasant. Wichtige Regularien aber fehlen

Von Thomas Berger, Neu Delhi *

Dieses Jahr hat die Zahl der indischen Mobilfunknutzer die 200-Millionen-Marke überschritten. Im Vergleich mit den gerade einmal zwei Millionen Anschlüssen zur Jahrtausendwende ist dies eine geradezu atemberaubende Entwicklung. Konnten sich damals nur wenige das ambivalente Vergnügen leisten, gehört das Handy bzw. Mobiltelefon als Statussymbol und Kommunikationsmittel heutzutage ebenso zur Grundausstattung wie in Europa oder anderswo. 200 Millionen, das macht rein statistisch knapp jeden fünften Inder aus, Kleinkinder und Greise mitgerechnet. Kaum einer, der noch keines hat: Der Rikschafahrer in der kleinen Provinzstadt zieht beim Abbiegen eines aus der Tasche, der junge Mann im Zug redet schon seit zehn Minuten mit einem Freund, und selbst der Dorfpfarrer hat sich jetzt ein Zweitgerät angeschafft, das er meistens seiner Frau überläßt. Die Preise für Grundausstattung und Verbindungen sind durch den zunehmenden Wettbewerb stark gefallen, und die Jagd nach immer neuen Geräten mit immer mehr Funktionen nimmt auch in Indien rapide zu.

Umkämpfter Markt

Bisher ist es noch eine relativ überschaubare Anzahl von Anbietern, die den großen Kuchen unter sich aufgeteilt haben. Das könnte sich bald ändern: 46 Firmen haben Anträge auf 575 Mobilfunklizenzen gestellt, darunter auch Immobiliengesellschaften und andere, die mit diesem Wirtschaftszweig bislang nicht das Geringste zu tun hatten. Alle sehen sie das riesige Profitpotential und hoffen, ein paar Millionen Rupien für sich abzweigen zu können. Doch Indiens Bürokratie ist legendär. Auch der Besitz einer Lizenz bedeutet hier nicht zwangsläufig den Zugang zum Netz, wie einige Bewerber bestätigen können. Die haben zwar ersteres, der Weg ins Netz blieb ihnen bislang jedoch versperrt. Eine Lizenz ohne Frequenz nützt wenig. Zuletzt waren im Jahr 2001 Frequenzen versteigert worden, und wann die indische Telekommunikationsbehörde (TRAI) die nächste Runde einläutet, steht noch nicht fest. Zumindest gibt man sich bei dieser Frage zugeknöpft.

Die Zurückhaltung hat wenigstens zum Teil gute Gründe. So verfügt Indien zwar über die moderne Technologie und einen sich rasant entwickelnden Markt, jedoch in vielerlei Hinsicht noch nicht über die notwendigen Regularien. Der Gesetzgeber hinkt hinterher, was kartellrechtliche Kontrollmechanismen, transparente Vergabepraktiken und ähnliche Aspekte betrifft. So konkurrieren um neue Frequenzen, wann immer diese ausgeschrieben werden, die etablierten Giganten der Branche mit neuen Spielern. Die einen haben einen rapide wachsenden Kundenstamm, der bald die zunächst zugeteilten Netzanteile sprengt, die anderen zwar eine Lizenz, aber noch keinen verwertbaren Zugang zum Mobilfunknetz.

Ende August hat die TRAI gegenüber dem zuständigen Ministerium nun einen 178seitigen Bericht vorgelegt, der eine Bestandsaufnahme zum Thema darstellt und bestimmte Empfehlungen enthält. Zum Beispiel ist die Behörde strikt gegen Ministe­riumspläne, die Zahl der in jeder der 23 Mobilfunkregionen landesweit aktiven Anbieter zu begrenzen. Eine solche Beschränkung des freien Wettbewerbs, fürchtet man bei TRAI, könnte die Monopolbildung zu Lasten der Kunden begünstigen. Zudem geht es darum, den Netzaufbau auch in bisherigen »weißen Flecken« voranzutreiben. Die Führung der Behörde schlägt zudem vor, das Horten von nicht genutzten Frequenzspektrumsanteilen, wie von einigen Firmen betrieben, mit hohen Strafen zu belegen. Alle Anbieter, die gegenüber ihrer absehbaren Kundenentwicklung noch reichlich Restkapazität haben, sollen binnen eines zu bestimmenden Zeithorizonts »überzählige« Frequenzen zurückgeben.

Keine Frequenzen

Marktführer Bharti-Airtel sieht seine bisherigen Netzanteile bald ausgelastet und fordert dringend neue Frequenzen. Allerdings zieht das Airtel-Argument, landesweit die größte Kundenschar zu haben, bei den Konkurrenten nicht. Der globale Mobilfunkgigant Vodafone, der unlängst die Mehrheit bei Hutch/Essar übernommen hatte, und Idea Cellular (Teil des einheimischen Birla-Konzerns) sind nur zwei von etlichen Mitbewerbern, die »Etablierte« und »Neuzugänge« rechtlich und praktisch gleichgestellt wissen wollen. Bis es soweit ist, müssen die Gesetze schnellstens angepaßt werden. Momentan steht Reliance, die Nummer Zwei hinter Airtel, auf Platz eins der Warteliste für frei werdende Frequenzen. Möglicherweise schon Ende des Jahres, wenn das Militär einen bestimmten Teil des Spektrums für die kommerzielle Nutzung räumen will, kann Reliance den Zuschlag erhalten. Mit welch fragwürdigen Tricks ohne schlüssige Kontrollmechanismen gearbeitet wird, dafür ist aber gerade Reliance ein Beispiel. Die Firma hatte 2001 ihren Teil des Festnetzes mit moderner Technologie in Mobilfunkanschlüsse umgewandelt und nach Zahlung einer vergleichsweise geringen Strafsumme dafür den Segen der Behörde erhalten.

* Aus: junge Welt, 1. November 2007


Zurück zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage