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"Wir haben was erreicht"

Indische Frauenrechtsorganisation SEWA kann nach Jahrzehnten Kampf auf etliche Erfolge verweisen. Als Gewerkschaft setzt sie sich für »informell« Beschäftigte ein

Von Thomas Berger *

Wenn von der indischen Frauenbewegung die Rede ist, fällt immer auch der Name SEWA. Vor nunmehr fast vier Jahrzehnten war die Self Employed Women’s Association die erste Organisation, die sich insbesondere jener Frauen annahm, die im sogenannten informellen Sektor tätig sind. Bis heute kämpft die SEWA, die ihr Hauptquartier in der Millionenstadt Ahmedabad im Unionsstaat Gujarat hat, als Gewerkschaftsbewegung der kleinen Selbständigen hartnäckig für deren Rechte.

»Wir haben etwas erreicht«, sagt Prathiba Patel, die als eine Art Geschäftsführerin die vielen Aktivitäten koordiniert und schon 22 Jahre dabei ist. Die Zahl der Mitglieder wuchs seit der Gründung im Jahr 1972 von 2000 auf derzeit eine halbe Million allein in Gujarat. Hinzu kommen 400000 Mitglieder in Madhya Pradesh, der zweitstärksten Regionalgliederung, sowie Gruppen in Uttar Pradesh, Ra­jasthan, dem südindischen Kerala und neuerdings sogar eine Filiale in Afghanistan. Lediglich fünf Rupien (sieben Cent) Beitrag im Jahr – das können sich selbst die Ärmsten leisten. Und es geht basisdemokratisch zu: »Es gibt 2400 gewählte Ratsmitglieder, die sich monatlich treffen«, weiß Prathiba Patel. Ein 25köpfiger Vorstand, das höchste Organ, wird jeweils für drei Jahre gewählt.

Seit sich Ela Bhatt, maßgebliche Begründerin von SEWA, altersbedingt zurückgezogen hat, laufen bei der neuen Geschäftsführerin alle Fäden zusammen. »Nur sieben Prozent aller Beschäftigten in Indien sind in registrierten Arbeitsverhältnissen mit den entsprechenden sozialen Sicherheiten tätig«, berichtet sie. Folglich müssen 93 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ohne solche Schutzmechanismen auskommen. Von ihnen wiederum seien zwischen 60 und 70 Prozent Frauen. Bei den »Unscilled labourers«, also jenen ohne Berufsausbildung, sei der Frauenanteil noch höher.

Einer der größten Erfolge von ­SEWA ist die Duchsetzung einer Rahmengesetzgebung für den riesigen informellen Sektor. Zudem habe die Organisation bei der Gründung von über 100 Kooperativen und mehr als 3000 Einzelgruppen Pate gestanden, erklärt die Geschäftsführerin. Darüber hinaus bemüht sie sich, den Frauen neue Absatzmöglichkeiten für Produkte und Dienstleistungen zu erschließen. »Schließlich kommen zwei Drittel unserer Mitglieder inzwischen nicht mehr aus dem städtischen Bereich, sondern vom Land.« Normalerweise würden Großhändler die Erzeugnisse aufkaufen und den Profit einstreichen. Alternative Vertriebssysteme sicherten den Herstellerinnen einen fairen Preis, und auch die Konsumenten könnten sich über einen solchen freuen.

Die SEWA – das ist nach 38 Jahren ein ganzes Netzwerk von Hilfsmöglichkeiten, auf das die Mitglieder Zugriff haben. Es gibt drei Kooperativen zur Kinderbetreuung, eine Hebammeninitiative, Gesundheitsförderprogramme und solche zur Wohnraumbeschaffung. Und dann ist da noch die SEWA-Bank, gegründet 1974, als es weit und breit kein Geldinstitut für die Armen gab. »Inzwischen sind wir die Nummer eins unter den kooperativen Banken Indiens«, sagt Prathiba Patel stolz. Und auf dem Land, wo der Zugang zu Bankdienstleistungen nicht immer direkt möglich ist, gibt es im Rahmen eines Mikrokreditprogramms zahlreiche Spargruppen, die ihren Mitgliedern Darlehen aus der gemeinsam verwalteten Kasse gewähren. »Als wir anfingen, waren die Betroffenen faktisch unsichtbar«, erinnert sich Patel. »Mittlerweile aber gibt es in diesem Bereich sogar eine ganze Reihe von Gewerkschaften.« Auch die Regierung habe reagiert. So gibt es etwa in der Baubranche gesetzliche Mindestlöhne.

Auch generell setzt sich die SEWA gemeinsam mit anderen Gruppen für die Rechte von Frauen und Mädchen ein – im Kampf gegen die gezielte Abtreibung weiblicher Föten, gegen Kinderhochzeiten und für Gleichberechtigung beim Bildungszugang. »Und das Bewußtsein ändert sich – langsam«, resümiert Patel.

www.sewa.org

* Aus: junge Welt, 16. April 2010


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