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Mehr Beamtinnen für die indische Polizei

Erste Reformen in Behörden auf regionaler Ebene nach tödlicher Vergewaltigung im Dezember

Von Thomas Berger *

Der Tod einer 23jährigen Studentin, die am 16. Dezember in Delhi Opfer einer besonders brutalen Vergewaltigung und Mißhandlung durch fünf Männer wurde und zwei Wochen später ihren schweren Verletzungen erlag, wühlt weiter die indische Öffentlichkeit auf. Während sich die Politik auf nationaler Ebene schwer tut, eigene Initiativen zum besseren Schutz für Frauen zu entwickeln, kommt immerhin auf regionaler Ebene manches in Bewegung.

Im Unionsstaat Punjab führte der Tod eines weiteren jungen Mädchens nach einer Gruppenvergewaltigung zu ersten Reaktionen. Das noch minderjährige Opfer hatte sich Medienberichten zufolge vor allem wegen des Verhaltens der Ermittler das Leben genommen. Mehrfach war die junge Frau zu fragwürdigen Tageszeiten zu Vernehmungen auf die Polizeiwache bestellt worden, ohne die schützende Begleitung von Angehörigen. Entsetzt ob des Suizids, ordnete die Regionalregierung an, daß künftig in solchen Fällen Opfer nur noch zu Hause befragt werden dürfen – im Beisein der Familie sowie mindestens einer Beamtin. Erst am Wochenende war ein neuer Fall einer Gruppenvergewaltigung in Punjab bekanntgeworden. Das 29jährige Opfer war mit einem Bus verschleppt und von mehreren Männern sexuell mißhandelt worden (siehe jW vom Montag).

Daß männliche Polizisten oft jede Sensibilität vermissen und oft gar nicht erst aktiv werden, ist in Indien allgemein bekannt. Schon viele Frauen haben die Erfahrung machen müssen, daß entweder gar nicht erst eine Anzeige aufgenommen bzw. daß sie danach einfach zu den Akten gelegt wurde. Damit Opfer von Übergriffen künftig effektiver Hilfe erhalten, hat inzwischen auch die Verwaltung der Hauptstadt angeordnet, alle Polizeistationen in Delhi schnellstmöglich mit zusätzlichem, weiblichem Personal auszustatten. Zu jeder Tages- und Nachtzeit soll überall wenigstens eine Beamtin für die Aufnahme solcher Anzeigen ansprechbar sein. Denn viele Opfer scheuen sich, vor männlichen Ermittlern überhaupt über das zu sprechen, was ihnen angetan wurde.

Die oftmals guten Erfahrungen, die einige Großstädte schon länger mit Polizeiwachen gemacht haben, die nur mit Frauen besetzt sind, sollen künftig auch anderenorts genutzt werden. Im nordöstlichen Unionsstaat Westbengalen werde die Zahl solcher Einrichtungen von derzeit zehn zügig auf 65 ausgebaut, kündigte Chefministerin Mamata Banerjee zum Jahreswechsel an. Die Polizei in Haryana wiederum, dem Unionsstaat in unmittelbarer Nachbarschaft Delhis, geht noch ganz andere Wege. Dort sollen die Namen von mehr als 1000 überführten Tätern, die Straftaten gegen Frauen begangen haben, veröffentlicht werden. Eine komplette Liste werde nicht nur auf der Internetseite der Behörde, sondern auch über die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter publiziert, so die Ankündigung.

Derweil hat der Unternehmer Srikant Sastri eine Kampagne gegen Politiker gestartet, gegen die Ermittlungen wegen Übergriffen gegen Frauen laufen. Bis zum Geburtstag der indischen Republik, dem 26. Januar, will er damit 44 Parlamentarier zum Rücktritt bewegen. Sechs von ihnen werden explizit der Vergewaltigung beschuldigt. Sastri will nach eigenem Bekunden keine Hexenjagd veranstalten. Wegen der aktuellen Debatte sei es aber an der Zeit, daß die Parteien zu hohen moralischen Standards zurückkehrten und sich von Abgeordneten trennten, die unter solchem Verdacht stünden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Januar 2013


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